Der Flug des Transporters ist die erste Operation im All, die die Europäer allein durchführen. Der Bau von “Jules Verne“ kostete 1,3 Milliarden Euro.

Die Fantasie von Jules Verne kannte keine Grenzen. "Alles, was ein Mensch sich vorstellen kann, werden andere Menschen einst verwirklichen", sagte der Erfinder des Science-Fiction-Romans. Eine europäische Fantasie wird sich in Kürze mit dem Jungfernflug der unbemannten Raumfähre ATV (Automated Transfer Vehicle) verwirklichen - sie trägt den Namen des Raumfahrt-Visionärs Jules Verne. Die aufwendigste Raumfähre, die je in Europa gebaut wurde, soll am frühen Morgen des 9. März starten.

"Jules Verne" wird die Internationale Raumstation ISS mit Nachschub versorgen. "Jules Vernes" Mission ist auch eine klare Botschaft: Europa will im Weltall künftig eine wichtigere Rolle spielen, nachdem es soeben mit "Columbus" einen großen Triumph feierte.

Das Weltraumlabor dockte im Januar an die ISS an und erste Experimente aus dem Bereich der Astrobiologie werden bereits durchgeführt.

Gemeinsam mit "Columbus" steht der ATV-Transporter für die Emanzipation der europäischen Raumfahrt - ein Schritt, auf den die Europäische Raumfahrtorganisation Esa lange hingearbeitet hat.

"Der Flug des unbemannten Raumtransporters ist die erste rein europäische Operation im All. Das ist ein historischer Schritt, der unsere Unabhängigkeit von den USA und Russland zeigt", sagte kürzlich Alan Thirkettle in Paris. Der ISS-Programm-Manager bei Esa sieht im ATV "das große Ding" der europäischen Weltraumorganisation in den kommenden Jahren. Wenn nach dem Jahr 2011 der US-Space-Shuttle ausrangiert wird, werden die Esa-Transporter die wichtigsten Versorger für die Raumstation sein. Sie können dreimal so viel Fracht befördern wie die russische Progress-Fähre.

Für Deutschland ist der Start von Jules Verne von ganz besonderer Bedeutung, denn die nächsten vier Raumtransporter werden in Bremen gebaut. Zwölf Jahre Entwicklungsarbeit stecken in der zylinderförmigen Raumfähre, die insgesamt 1,3 Milliarden Euro kostete. Mit zehn Meter Länge hat sie etwa die Größe eines Londoner Doppeldeckerbusses. Im unteren Teil von "Jules Verne" liegen die mit Treibstoff, Sauerstoff und Stickstoff gefüllten Tanks. Im Hauptraum, der für die Astronauten nach dem Andocken zugänglich ist, sind Regale an der Wand befestigt und mit Astronautennahrung gefüllt. Knapp 300 Liter Trinkwasser sind an Bord, 500 Kilogramm Nahrung - insgesamt knapp sechs Tonnen Fracht.

Eine Spezialversion der Trägerrakete Ariane 5 soll den 19,5 Tonnen schweren Transporter vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou (Französisch-Guayana) ins All schießen - noch nie zuvor hat eine Ariane 5 eine solch schwere Nutzlast ins Weltall befördert.

Nach dem Ausfahren der Sonnensegel, die eine Flügelspannweite von 22 Metern haben, sorgen satelliten- und radargestützte Sensoren für die Orientierung. Beim Jungfernflug muss "Jules Verne" zu Testzwecken unterschiedliche Flugmanöver im Orbit absolvieren, bevor sich das ATV der ISS nähern darf. Voraussichtlich am 3. April wird sich das ATV am russischen Swesda-Modul der ISS in rund 340 Kilometer Höhe andocken. Es kann aber auch länger dauern, bis das ATV dort ankommt.

Den Flug zur ISS überwacht das Kontrollzentrum im französischen Toulouse.

Was dann folgt, beschreibt Programm-Manager John Ellwood als einen "anmutigen Tanz eines verliebten Paares": Sehr langsam wird sich der Transporter der Raumstation nähern, automatisch gesteuert von Radar, Lasersensoren und Satellitendaten. 32 Triebwerke arbeiten unabhängig voneinander und sind doch aufeinander abgestimmt. "So ein System gab es noch nie", sagt Entwicklungsingenieur Stefan Koschade von der EADS-Raumfahrttochter Astrium in Bremen. Dort wurden die ATV-Pläne maßgeblich entwickelt und die Einzelteile aus Europa, Russland und den USA zusammengebaut.

Die Besatzung der ISS kann den Anflug der weißen Raumfähre vom Fenster aus nur beobachten, nicht aber steuern: Im Fall eines drohenden Zusammenstoßes gibt es lediglich einen roten Knopf, der ein automatisches Abstandsmanöver einleitet.

Nach dem Andocken dient "Jules Verne" den Astronauten als Speisekammer, Abstellraum und zuletzt auch als Absprungbrett: Die ATV-Triebwerke schieben die Raumstation um bis zu 30 Kilometer in die Höhe. Das ist nötig, weil sich die ISS an der Restatmosphäre reibt und täglich 200 Meter absinkt.

Das spektakuläre Finale kommt voraussichtlich im August. Mit rund sechs Tonnen Müll fliegt ATV in Richtung Erde und verglüht kontrolliert in der Atmosphäre: der komplizierteste und teuerste "Müllschlucker" der Welt.


Informationen im Internet:

www.esa.int/esaCP/Germany.html