Per Spezialkamera lokalisieren Berliner Forscher Geräuschquellen - und revolutionieren damit die Schallanalyse. Denn sie offenbart auch die Ursache störenden Lärms.

Foto-Session auf dem Berliner Wissenschaftsgelände Adlershof. Ein Pkw steht in einer kleinen Halle. Die Hauptrolle spielt ein merkwürdiger Ring, den Dr. Ralf Schröder von der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFal) vor der geöffneten Motorhaube aufbaut. Er ist mit Mikrofonen gespickt und wird gleich die Geräusche aufzeichnen und messen, die der Viertakter von sich gibt. Schröder erklärt: "Wir machen das Geräusch des Motors sichtbar, wahlweise als akustisches Foto oder akustischen Film."

Was simpel klingt, ist technisch kompliziert. Es funktioniert, vereinfacht dargestellt, so: Die in den Ring integrierte Videokamera speichert ein Bild des Motors, also der Geräuschquelle. Zugleich zeichnen 48 Präzisionsmikrofone die Schallwellen auf. Ein spezieller Datenrekorder digitalisiert und speichert sie, für jedes Mikro auf einem Kanal. Daraus erstellt der Rechner eine Geräuschkarte und legt sie als farbiges Schallbild über das Foto. In diesen akustischen Fotos erscheinen die lautesten Quellen rot, die leisesten blau, grün und gelb liegen dazwischen.

Das verblüffende Ergebnis: Den größten Lärm verursacht nicht der Motor, sondern der rechts unter ihm angebrachte Vorschalldämpfer. "Das ist ein eindeutiger Fingerzeig an Hersteller, Konstrukteure, Ingenieure: Sie sehen die Ursache störenden Lärms und wissen, wo sie ansetzen müssen, um diese zu verringern oder zu beseitigen", so Schröder.

Was das menschliche Gehör nur undifferenziert als Gesamtgeräusch wahrnimmt, schlüsselt das Schallbild der Kamera detailliert auf. Zum Beispiel in dem Film einer Geldsortiermaschine. Es rattert, rasselt, klappert, klingelt - an jeder Stelle auf dem Weg der Münzen durch den Automaten anders. Rote Farbexplosionen markieren die lautesten Stellen, inklusive Dezibelwert (dB).

Der wirtschaftliche Nutzen dieser Bild-Geräusch-Analyse ist enorm. Software-Chefentwickler Dirk Döbler berichtet von einem Autositzhersteller, der ein Knacken bei der Sitzverstellung nicht lokalisieren konnte. Drei Wochen suchten Ingenieure nach der Ursache - vergeblich. Spezialanfertigungen für einen Dauertest wurden gebaut. "80 000 Euro waren in den Sand gesetzt, dann wurde unsere Kamera geordert. Sie löste das Problem an einem Tag."

Einem Windradhersteller, den wochenlang ein Heulton nervte (und eine Gemeinde gleich mit) fand dank der Kamera binnen Stunden heraus, welches Zahnrad verantwortlich war. Die Kamera spürte auch auf, dass beim Helikopter neben der Turbine die Blattspitzen der Rotorflügel das Lauteste sind. Oder bei der Nähmaschine neben dem Motor die Unterfadenmechanik. Wer hat schon die Ultraschallemissionen von Fledermäusen gesehen, wer den akustischen Weg einer Pistolenkugel im Lauf?

Die Anwendungspalette ist so umfangreich wie die Welt der Geräusche. Ob Flugzeuge, Züge, Rasierapparate, Elektro-Tucker, Presslufthämmer, Plasmabildschirme, Waschmaschinen, Kühlschränke, Musikinstrumente - mit dem mobilen System kann fast alles überprüft werden. Nur bei Regen und unter Wasser muss die Kamera passen.

Industrie nutzt dieses Analysesystem bereits vielfältig. Dabei geht es neben der Lärmreduzierung vor allem um die Optimierung von Geräuschen, um Sound-Design und Psycho-Akustik. Wie muss eine Bockwurst knacken, damit sie lecker klingt? Wie sollte ein Keks akustisch beschaffen sein? Wie muss eine Autotür ins Schloss fallen?

Selbst Geräusche, die nur Bruchteile von Sekunden auftreten, sind darstellbar, etwa der Zündzeitpunkt von Motoren. So verwundert es kaum, dass deutsche Autobauer das Gerät in ihren Motorenprüfständen einsetzen. Oder Wind- und Motorgeräusche während der Fahrt im Innenraum prüfen. Zulieferer benutzen die Kamera zur Geräuschoptimierung von Fensterhebern, Türen oder Scheibenwischermotoren.

Haushaltsgerätehersteller optimieren Waschmaschinen und Kühlschränke, ist doch deren leiser Betrieb ein Verkaufsargument. Durch die Anerkennung von Lärmschäden als Berufskrankheit wächst der Druck auf die Produzenten von Industrieanlagen oder Baumaschinen, leisere Geräte zu bauen - ein weiteres Einsatzfeld.

Nicht zu vergessen: Verkehrslärmmessungen. Im Unterschied zu herkömmlichen Messmethoden werden nicht nur Geräusche sichtbar gemacht, sondern auch ihre Ursachen aus dem Geräuschteppich herausgefiltert.

So lassen sich die Hauptverantwortlichen für Lärm benennen. Juristische Beweiskraft aber haben die Bilder bislang nicht. Die Kamera ist der Realität weit voraus.

Einige Dutzend dieser 100 000 Euro teuren Systeme wurden in 15 Länder verkauft. Kuriose Beispiele: Das Finnische Institut für Arbeitsschutz erwarb eine Akustische Kamera wie die Universität Wien. Die Wissenschaftler wollen im brasilianischen Regenwald Frösche lokalisieren, die auf Bäumen leben und nicht zu sehen sind.

In Berlin wird ständig an verbesserten Systemen getüftelt. Das neueste Modell: eine Kugelanordnung mit 120 Mikrofonen. Damit können die Innenräume von Autos, Zügen und Flugzeugen erstmals dreidimensional kartiert werden.

Weitere Informationen: Gesellschaft zur Förderung angew. Informatik, Bereich Akustische Kamera, Tel. 030/63 92 16 24.

Internet: www.gfai.de;

www.acoustic-camera.com