Prof. Peter Seeberger entwickelte eine Technik, um Zuckerketten automatisch und gezielt herzustellen. Mit diesen Molekülen revolutionieren die Forscher jetzt die Medizin und betreten wissenschaftliches Neuland.

Alle zwanzig Sekunden stirbt in Afrika ein Kind an Malaria. Eine Technik, die der Körber-Preisträger für die Europäische Wissenschaft 2007 entwickelte, könnte dieses Leid beenden helfen. Prof. Peter Seeberger von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich schuf ein Werkzeug, das die Diagnostik und Therapie von Krankheiten und die Grundlagenforschung in Biologie und Medizin beflügelt. "Wenn Sie sich eine menschliche, eine bakterielle oder eine virale Zelle anschauen, dann sehen Sie auf der Oberfläche viele Zuckermoleküle. Die Zellen haben sozusagen einen Zuckerpelz", erläuterte der Chemiker auf dem 41. Hamburger Wissenschaftsforum von NDR 90,3 und dem Abendblatt, das in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung am vergangenen Freitag im KörberForum stattfand.

Diesem Zuckerpelz rücken die Forscher auf den Leib. Denn Zuckermoleküle sorgen nicht nur dafür, dass Zellen stabil sind, sie sind - neben den Nukleinsäuren und den Eiweißen - die dritte Sprache des Lebens. Diese Sprache kann jetzt, nachdem Prof. Seeberger und sein Team einen Zuckersynthese-Automaten gebaut haben, Stück für Stück verstanden und manipuliert werden.

"Wir haben in den letzten neun Jahren ein Instrument hervorgebracht, das uns erlaubt, Zucker gezielt zu Ketten zusammenzusetzen. Mit dem Synthese-Automaten können wir fast alle Zucker schaffen, die auf den Zellen von Menschen, Viren, Bakterien oder Parasiten vorkommen", so Seeberger, der keinen deutschen Hochschulabschluss hat, sondern in den USA promovierte. "Die Basis dieses chemischen Prozesses ist eigentlich ganz einfach. Jeder, der Tee oder Kaffee trinkt, nutzt vielleicht Zucker. Diese Zucker bestehen aus zwei Bausteinen. Wir bauen Zucker, die nicht nur aus zwei, sondern aus fünf bis fünfzehn Bausteinen bestehen." Dafür verwenden die Chemiker einen Trick: Sie hängen den ersten Zuckerbaustein der Kette an ein Plastikkügelchen. Alle weiteren reihen sie dann daran. Das Produkt ihrer Synthese landet auf einem Filter, der wird gespült - und übrig bleiben nur die künstlich hergestellten Zucker. "Die Plastikkügelchen, die aus Polystyrol bestehen, verhindern, dass sie ausgewaschen werden", erläutert Seeberger. Die Idee stammt aus der Synthese von Eiweißstoffen. Doch lange Zeit gelang es nicht, auch Zucker auf diesem Weg herzustellen. "Wir haben verschiedene Aspekte der Chemie, insbesondere der Zuckerchemie, neu erfunden oder angepasst", begründete der Körber-Preisträger kurz und knapp den Erfolg seiner Arbeit.

"Unser diesjähriger Preisträger hat ein technisches Gerät geschaffen, das zugleich einen Prozess beinhaltet, der jetzt eingesetzt wird, um neue Probleme zu lösen", lobte Prof. Olaf Kübler, ehemaliger Präsident der ETH Zürich und Mitglied des Kuratoriums des Körber-Preises. Das sei außergewöhnliche Ingenieurskunst. Gelegentlich habe man zudem das Glück, dass eine Technik nicht nur zum Nutzen der Gesellschaft geschaffen wird, sondern dass dabei auch deutlich erkennbar "ethische Ziele im Spiel sind". Auch der heutige Preisträger habe eine Lösung gesucht für ein Problem, das unter ökonomischen Bedingungen vielfach nicht angegangen wird - wie Malaria.

"Generell gilt, unterschiedliche Erreger haben unterschiedliche Zucker auf ihren Oberflächen. Das machen wir uns zunutze", erläuterte Seeberger. Interessanterweise seien die Zucker auf der Zelloberfläche von Bakterien und Viren recht stabil, anders als die Eiweiße. Das macht Zucker als Angriffspunkt von Wirk- oder Impfstoffen so attraktiv. Denn ein zentrales Problem bei der Herstellung eines Impfstoffes gegen Malaria war bislang, dass sich die Eiweiße auf der Zelloberfläche des Erregers schnell verändern können. Sowie das geschieht, wird der Impfstoff unwirksam.

Bereits am Massachusetts Institute of Technology (MIT, Cambridge, USA) schuf Seeberger mit seinem Team die Grundlagen für den ersten Zuckersynthese-Automaten, den er 2001 baute. "Mit den künstlichen Zuckern haben wir dann unterschiedliche Anwendungen verfolgt, eine davon war die Herstellung von Impfstoffen." Die Idee ist die folgende: Man stelle die Zucker, die auf der Oberfläche von Erregern vorkommen, künstlich her. Mit ihnen erziehe man das menschliche Immunsystem so, dass es alle Zellen, die diesen spezifischen Zucker tragen, vernichtet. "Genau das haben wir gemacht. Wir haben mit dem Synthese-Automaten die Zucker hergestellt, diese dann an ein Trägereiweiß geheftet und damit 2002 die ersten Tierversuche gemacht." Mäuse, die sonst alle an Malaria sterben, überlebten nach der Impfung zu 80 Prozent. Seither hat Seeberger das Malaria-Impfstoff-Programm vorangetrieben. Er gründete zu diesem Zweck 2002 die US-Firma Ancora Pharma, die jetzt mit einem großen Impfstoffhersteller zusammenarbeitet. "Wir gehen davon aus, 2008 erstmals größere Tests am Menschen durchführen zu können", kündigte er an.

Zudem habe Professor Seeberger einige Phänomene erklären können, "die bislang unverstanden waren", kommentierte Prof. Bernhard Fleischer, Direktor des Bernhard-Nocht-Instituts (BNI) in Hamburg. Erst 2002 gelang dem Chemiker die Synthese des tödlichen Giftstoffes, den der Malaria-Erreger produziert. Schon vor 100 Jahren hatte der italienische Arzt und Nobelpreisträger Camillo Golgi vermutet, dass ein Gift die Krankheit auslöse. "Seeberger konnte zeigen, dass Antikörper gegen das Gift vor den Symptomen der Krankheit schützen", sagte Fleischer. Mit dieser Erkenntnis war der Weg frei, um einen Impfstoff wie oben beschrieben zu entwickeln. Er schützt die Menschen zwar nicht vor dem Mückenstich und den Parasiten, wohl aber vor einem Ausbruch der Malaria.

"Das ist ein Beispiel von mehreren, wo wir vom Apparat bis zur Therapie alles entwickeln", resümierte Seeberger, in dessen Team etwa 35 Wissenschaftler aus fast allen europäischen Ländern sowie aus Japan, Korea, China, Neuseeland, Kanada, den USA, Kamerun und Marokko forschen. Mit ihnen will er auch für Leishmaniose, an der jährlich 60 000 Menschen sterben, einen Impfstoff entwickeln. "Die Krankheit tritt nicht nur in den Tropen, sondern vermehrt auch im Mittelmeerraum auf und wird von kleinen Sandmücken übertragen", erläuterte Fleischer. Sie führe zu schweren Infektionen, manchmal nur in der Haut, manchmal im ganzen Körper. Bislang gebe es keine gute Therapie gegen die Infektion.

Mit den künstlich hergestellten Zuckern revolutionieren die Forscher aber nicht nur die Medizin, sie betreten auch wissenschaftliches Neuland. "Nachdem wir die Sprache der Gene und die Sprache der Eiweiße kennen, sind die Zucker eine dritte Sprache im Leben. Diese Sprache kann man erst jetzt entschlüsseln und verstehen", sagte Fleischer und verwies darauf, dass es an der Uni Hamburg einen Sonderforschungsbereich zur Glycobiologie gebe. Bislang hat man sich so wenig mit den Zuckern befasst, weil es schwierig war, diese künstlich herzustellen. Das ist nun vorbei, auch wenn "wir noch nicht alle Zucker in dem Syntheseautomaten herstellen können", wie Seeberger einräumte. Der originelle und zielstrebige Forscher arbeitet aber schon längst an einer Verbesserung seiner Maschine.

Nach diesem Forum war eines klar: Wir werden noch viel Neues über das Leben lernen.