Ein ehemaliges Bergwerk im Schauinsland bei Freiburg ist der steinerne Tresor für historische Zeugnisse der vergangenen Jahrhunderte. Auf Mikrofilmen sollen sie mindestens 500 Jahre überstehen.

Der Weg zum deutschen Kulturgut ist kühl und feucht. Die Schritte hallen wider im 440 Meter langen Bergwerksstollen, einst zur Erkundung von Silbervorkommen in den Schauinsland bei Freiburg getrieben. Silber wurde in ihm nie gefunden, dennoch lagert hier ein Schatz: die Sicherungskopien von einmaligen Dokumenten von nationaler Bedeutung, gebannt auf Mikrofilme, die mindestens 500 Jahre halten sollen. Die Filmrollen sind sorgfältig in umgebauten Bierfässern gelagert - vielleicht auch dies ein Teil des deutschen Kulturgutes.

Etwa 1,5 Milliarden Dokumentenseiten auf 26 000 Filmkilometern finden in dem Stollen ihre womöglich letzte Ruhe. Denn die Sicherungskopien kommen nur im absoluten Ernstfall zum Zuge, der zum Glück seit Beginn der Einlagerung im Sommer 1976 noch nicht eingetreten ist und hoffentlich nie eintreten wird. "Ursprünglich lautete das Ziel, deutsches Kulturgut der Nachwelt zu erhalten, für den Fall, dass ein Atomkrieg die Originaldokumente vernichtet", sagt Christoph Unger, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). "Inzwischen geht es uns eher um den Schutz der Dokumente vor zivilen Katastrophen wie Hochwasser oder Feuer und dem Säurefraß. Der Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar hat dazu geführt, dass wir Bibliotheken und Museen stärker in unsere Arbeit einbeziehen wollen. Bislang stammen die Dokumente vorwiegend aus dem Bundesarchiv und den Staatsarchiven der Länder."

Nach 440 Meter Fußmarsch steht der Hausherr des Stollens vor einer weinroten Tresortür. Hier kommen nur zwei Personen weiter, nur sie kennen den Code zum Öffnen der Stahltür. Einer ist Björn Matzken, Wachmann der Sicherungsfirma, die den Dokumentenschatz betreut. 13-mal gibt Matzken zweistellige Zahlen ein, dreht dabei mal nach links, mal nach rechts. "Die Kombination habe ich im Kopf", sagt er schmunzelnd, "dafür habe ich am Anfang viel geübt."

Der Wachmann zieht die schwere Tür auf. Sie führt in einen Vorraum, von dem seitlich jeweils zwei 25 Meter lange Stollen abzweigen. Auf und unter den Regalen zu beiden Seiten stehen Hunderte 78 Zentimeter große Edelstahlzylinder. Einer von ihnen birgt die abgefilmte Krönungsurkunde Ottos des Großen von 936, ein anderer die Baupläne des Kölner Doms (ab 1248) oder die "Goldene Bulle" von 1356, den Vertragstext des Westfälischen Friedens (1648), die Protokolle des Hochverratsprozesses gegen Adolf Hitler (1924). Die Polyesterfilme sind 35 Millimeter breit. Gegen das Licht gehalten sind größere Schriften mit dem bloßen Auge zu lesen, bei kleineren hilft eine Lupe.

Auf Amtsdeutsch heißt das ungewöhnliche Fasslager im Schauinsland "Zentraler Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland". Es basiert auf der Haager Konvention von 1954, in der sich die Vertragsstaaten unter dem Eindruck der ersten Atombombenabwürfe verpflichteten, ihr Kulturgut vor dem nuklearen Höllenfeuer zu schützen. Zudem sollen die in die Konvention aufgenommenen Kulturgüter von Kriegshandlungen verschont werden. Nur drei Standorte in Europa genießen den höchsten Schutz der Konvention: der Vatikan, das niederländische Reichsmuseum und eben der Barbarastollen im Südschwarzwald. Sie sind für sämtliche militärische Aktionen tabu - selbst die Bundeswehr muss einen drei Kilometer weiten Bogen um den Stollen machen.

Der Ort ist gut gewählt. Wer durch die liebliche Hügel- und Berglandschaft fährt, wähnt sich an einem der friedlichsten Flecken der Welt. Ende November klingen noch die Glocken der auf den Almen grasenden Kühe durch das Tal nahe der Ortschaft Oberried. Der Stollen selbst ist in hartes Gneis- und Granitgestein gestemmt worden, das selbst kleinere Erdbeben nicht erschüttern kann. Hier herrscht das ganze Jahr über eine konstante Temperatur von neun bis elf Grad.

Jedes der 122 Kilogramm schweren Fässer birgt maximal 16 große Rollen mit 24,3 Kilometer Film. Sie werden von einer bayerischen Firma luftdicht verpackt, in einer staubfreien Atmosphäre bei 35 Prozentluftfeuchtigkeit und zehn Grad Celsius. Was dort am Ende hinein kommt, entscheidet der "Fototechnische Ausschuss" aus Vertretern des Bundes und der Länder. Er orientiert sich an den Vorgaben der Haager Konvention, die Dokumenten-Unikate aus der Zeit vor 1850 als besonders schützenswert definiert.

Aber auch neuzeitliche Unterlagen finden ihren Weg in die Freiburger Unterwelt, beispielsweise der Spielplan der Bayreuther Festspiele von 1989. Die meisten Dokumente werden jedoch erst im Stollen verstaut, wenn ihre offizielle Aufbewahrungsfrist von 20 oder 30 Jahren endet, und die jeweiligen Staatsarchive das Material für so wertvoll erachten, dass sie eine Sicherheitskopie einlagern lassen.

Etwa 30 Millionen Dokumentenseiten kommen jedes Jahr hinzu, aufgenommen von bundesweit 15 Verfilmungsstellen. Zusätzlich kopieren sie alte DDR-Bestände, deren Filmmaterial weniger haltbar ist. Die Gesamtkosten teilen sich Bund und Länder. Letztere übernehmen die Personalkosten, das BBK bezahlt jährlich drei Millionen Euro für das Filmmaterial und den Unterhalt des Stollens.

Aus den Hamburger Archiven sei der alte Senatsbestand inklusive der Unterlagen von seinem Vorgänger, dem Rat der Stadt, bereits eingelagert - "zumindest das, was den Hamburger Brand von 1843 überstanden hat", sagt Michael Stoffregen, Abteilungsleiter beim Hamburger Staatsarchiv. Auch die Dokumente der verschiedenen Hafenbehörden und die Unterlagen der Sozialbehörde bis 1954, die zum Beispiel die nationalsozialistischen Verfolgungen dokumentieren, sind im Barbarastollen zu finden.

Aber es gebe noch jede Menge Material, das dringend verfilmt werden sollte, so Stoffregen: "Nehmen Sie den Säurefraß von Papier. Im Staatsarchiv und der Staatsbibliothek ist jeden Tag der fortschreitende Zerfall erlebbar. Das Kopieren auf Mikrofilm ist ein gutes Instrument, um die Informationen zu erhalten."

Mehr als 1200 Fässer stehen derzeit im Barbarastollen, jährlich kommen 100 bis 200 hinzu. "Insgesamt können wir in dem Stollen im jetzigen Ausbaustand 4000 Fässer unterbringen", sagt BBK-Präsident Unger, "wenn wir im derzeitigen Tempo weiter arbeiten, reicht der Raum ungefähr bis 2015."