In der Vorweihnachtszeit bewegt uns wieder die Frage: Welche Geschenke sollen wir nur kaufen? Die Wissenschaft verrät, was beim Geben und Nehmen im Kopf abläuft, und sagt uns, welche Fehler wir vermeiden sollten.

Hirnforscher, Soziologen, Verhaltensforscher, Anthropologen, Fußgängerforscher, Psychologen, Evolutionsbiologen, Konsumforscher, Sozial- und Einkaufspsychologen - es sind die unterschiedlichsten Disziplinen der Wissenschaft, die sich einem Phänomen widmen, mit dem fast jeder von uns alle Jahre wieder seine Probleme hat: dem Schenken. Der Rat der Schenkforscher lautet: Schenken sollte sehr ernst genommen werden.

Geschenke können ein Quell der Freude sein, aber vor allem sind sie riskant. "Denn der Akt des Schenkens bildet die Basis unserer sozialen Bindungen schlechthin", schreiben die französischen Ethnologinnen Sophie Chevalier und Anne Monjaret im Wissenschaftsmagazin Gehirn und Geist. "Mit Hilfe von Geschenken knüpfen, pflegen oder kappen wir Kontakte."

Socken oder DVD, Schmuck oder Parfüm, schön und unnütz oder lieber eine praktische Haushaltshilfe, teuer oder selbst gemacht? Die Frage, welches Geschenk dem anderen Freude bereitet, bewegt viele Menschen, während sie durch die Kaufhäuser drängen, sich über Weihnachtsmärkte schieben lassen oder vor dem Glühweinstand in der Schlange stehen.

Solchen körperlichen Verkehrsstaus beim weihnachtlichen Hindernisrennen widmen sich Fußgängerforscher. Am Computermodell simulieren sie Massenbewegungen, um die Geschenkesucherströme zu lenken. Der britische Psychologe und Stressforscher Aric Sigman hat im Feldversuch auf der Oxford Street herausgefunden, dass vorweihnachtliche Shopper im Schnitt 114 Mal pro Stunde angerempelt wurden, ihr Herzschlag nach dem Shoppen um bis zu 16 Prozent und der Blutdruck um mehr als 13 Prozent gestiegen waren.

Männer greifen oft nach dem nächstbesten Geschenk

"In der Vorweihnachtszeit geht es in den Einkaufsstraßen nicht besonders friedlich zu", sagt Sigman. "Beim Einkaufen zeigen viele das klassische Angriffs- oder Fluchtverhalten." Frauen seien dabei angespannter als Männer, da sie sich bei der Suche nach dem richtigen Geschenk mehr Mühe gäben. "Wirklich gestresst sind die Männer erst, wenn sie vor der Damentoilette auf ihre Partnerin warten müssen", stellte Sigman fest. Der US-Einkaufsforscher Paco Underhill fand heraus, dass Frauen Geschäfte langsamer und aufmerksamer durchstreifen als Männer, die wiederum oft nach dem nächstbesten Geschenk greifen.

Das kann gefährlich werden. "Freiwilliges Geben, Teilen und Schenken stabilisiert Beziehungen und hemmt Aggressionen", sagt Friedrich Rost, Psychologe und Soziologe an der Freien Universität Berlin. Ein Geschenk soll sagen: Ich mag dich, du bist mir wichtig, ich freue mich, wenn du dich freust. "So können wir anderen Menschen unsere Gefühle gestehen oder um Verzeihung bitten", meinen Chevalier und Monjaret. Fehlt diese Botschaft oder kommt sie beim Beschenkten nicht an, ist die Gabe bestenfalls nur noch die geldwerte Ware, aber kein Geschenk. Schlimmstenfalls haftet an lieblosen oder unpersönlichen Verlegenheits-geschenken die Botschaft: "Ich hatte keine Lust, mir Gedanken zu machen." Dann sind Enttäuschung oder Streit programmiert.

Jede Gabe fordert irgendwann eine Antwort

Warum also schenken, wenn das Risiko, jemanden zu enttäuschen, so hoch ist? Zumal es in fast allen Kulturen und Beziehungen nach der Regel "Geben, Nehmen und Zurückgeben" erfolgt, es sich also um einen Tausch handelt. Jede Gabe fordere irgendwann eine Antwort, sagt Chevalier. Das wird Weihnachten am deutlichsten, wenn zeitgleich Präsente getauscht werden - mit erhöhtem Risiko: Man hat keine Chance mehr, seine Gegenleistung anzupassen und Gleichwertiges zurückzugeben. Rein rechnerisch wäre Schenken eine überflüssige Transaktion. Zudem kann "in der modernen westlichen Gesellschaft ein großer Teil der Menschen die gewünschten Konsumgüter auf dem Markt selber erwerben", wie die Hamburger Psychologin und Organisationsberaterin Gisela Clausen sagt. "Nicht kaufen kann man jedoch die soziale Wertschätzung, die durch ein Geschenk übermittelt wird."

Schenken ist ein evolutionär sehr altes Verhalten

Friedrich Rost nennt Schenken "soziales Handeln par excellence", denn es ist auf andere gerichtet, kommt aber meist beiden zugute. "Dem Psychologen Alfred Adler zufolge sind wir ewig auf der Suche nach Anerkennung", sagt der Schenkforscher. "Und die lässt sich mit dem richtigen Geschenk sogar wortlos übermitteln. Ist das Schenken geglückt, haben beide Anerkennung erfahren."

Hans Selye, kanadischer Arzt und Begründer der Stressforschung, sieht ebenfalls das Dürsten nach mitmenschlicher Anerkennung im Mittelpunkt des Lebens. "Sämtliche Handlungen sind darauf angelegt, bei unseren Mitmenschen Guthaben der Dankbarkeit' zu kumulieren, damit der ständige Mangel an Anerkennung befriedigt werden kann." Nach Meinung von Soziobiologen ist Schenken ein evolutionär sehr altes Verhalten, das sich aus der Partnerwerbung und der Säuglingspflege entwickelt hat. Der Anthropologe und Ethnologe Claude Levi-Strauss ist überzeugt, dass erst durch das Verschenken von Frauen von einem Clan an einen anderen aus einem Inzesttabu heraus durch die verwandtschaftlichen Bindungen größere gesellschaftliche Einheiten entstanden sind. Männer machten sich Frauen zum Geschenk, bevor dann die Frauen ihrerseits mit Geschenken umworben wurden.

Die Art der Verwandtschaft bestimmt die Großzügigkeit des Schenkenden, fanden australische Forscher um den Psychologen Bill von Hippel heraus. Die Enkel wurden umso reicher beschenkt und bei Erbschaften bedacht, je sicherer die genetische Verwandtschaft ist. "Großmütter mütterlicherseits stehen ihren Enkeln näher als andere Großeltern", so von Hippel. Am schlechtesten sei das Verhältnis von Großvätern väterlicherseits zu ihren Kindeskindern. Männer könnten nie völlig sicher sein, dass ein Kind von ihnen stamme.

Die Formel für das perfekte Geschenk

Amerikanische Wissenschaftler fanden heraus: Unser Hirn liebt Überraschungen. "Das Belohnungszentrum im Gehirn antwortet nicht ebenbürtig auf jede erfreuliche Substanz, sondern reagiert viel stärker, wenn das Ver-gnügen unerwartet war", sagt Hirnforscher Gregory Berns. Um zu prüfen, ob ein Präsent perfekt passt, haben britische Psychologen aus einer Studie über die Schenkgewohnheiten ihrer Landsleute eine Formel entwickelt:

PPI = T + G + S + V + B. Der PPI (Present Popularity Index) gewichtet die Faktoren Zeit beim Aussuchen (T, 0 bis 5 Punkte), Interesse des Beschenkten am Gebenden (G, 0 bis 4 Punkte), Nutzen des Geschenkes (S, 0 bis 3 Punkte), Wert (V, 1 Punkt) und Umtauschmöglichkeit (B, 1 Punkt). Beträgt die Summe der Faktoren mehr als zwölf, ist das Geschenk perfekt, bei unter vier Punkten pure Geldverschwendung.

Friedrich Rost fasst zusammen: "Es braucht Fantasie, Feinfühligkeit und Wachsamkeit über das ganze Jahr, um die passenden, individuell gewählten Geschenke zu finden."