Hirnforscher haben enträtselt, wie hoch begabte Menschen auch mit 200-stelligen Zahlen zurechtkommen. Sie aktivieren spezielle Hirn-Areale.

Wie viel ist 99 hoch 20? Rüdiger Gamm (32) schließt die Augen, fasst mit den Händen an seine Schläfen und spuckt Sekunden später das Ergebnis aus: "8 Sextilliarden, 179 Sextillionen, 69 Quintilliarden, 375 Quintillionen, 972 Quadrilliarden, 308 Quadrillionen, 708 Trilliarden, 891 Trillionen, 986 Billiarden, 605 Billionen, 443 Milliarden, 361 Millionen, 898 Tausend und 1." Oder mathematisch geschrieben: 8179069375972308708891986605443361898001. Er könnte auch 99 hoch 33 berechnen. "Aber in diesem Bereich gibt es keine Zahlenbezeichnung mehr", sagt der Rechenkünstler aus Alfdorf östlich von Stuttgart.

Zurück rechnet Gamm auch, ohne Taschenrechner oder Computer. "Ich kann Wurzelziehen bis zur 20. Wurzel. Das ist die logische Folge aus der Potenz", sagt er. Die Zahlen kann er in elf Sprachen aufsagen, selbst in persisch und japanisch. Der Rechen- und Gedächtniskünstler verblüfft auch auf anderen Gebieten. Wie viele Mittwoch, den 13., gab es 1286? Wieder denkt Gamm kurz nach, kramt gedanklich in seinem "Speicher", lächelt und antwortet: "Das waren sogar drei: im Februar, März und im November."

Wochentage dem Datum zuzuordnen, vermag er bis ins Jahr eins nach Christus. Die Zahl Pi kennt er auf 2000 Stellen hinter dem Komma, und er sagt, falls gewünscht, welche Ziffer an 1247. Stelle hinter dem Komma steht.

Weil Gamm selbst schwierigste mathematische Aufgaben im Kopf löst und 108-stellige Ergebnisse sekundenschnell liefert, haben Wissenschaftler sein Gehirn untersucht. "Die meisten Menschen rechnen mit dem Kurzzeitgedächtnis. Bei mir arbeitet der Langzeitspeicher mit", erklärt er.

Im Gegensatz zum Normalbürger nutzt Gamm beim Rechnen auch Areale in der rechten Gehirnhälfte, die für das Erinnerungsvermögen zuständig sind. Das haben Forscher um den Belgier Mauro Pesenti beim Beobachten seines Gehirns mit der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) herausgefunden ("Nature Neuroscience" Bd. 4, S. 103, 2001).

Dennoch schaffte Gamm nicht mal das Abitur. "Im Rechnen war ich der Schlechteste. Ich hatte meistens Fünfer und bin sitzen geblieben. Das lag an den Lehrern", erzählt er. Seine mathematische Begabung entdeckte der Versicherungskaufmann erst nach Abschluss der achten Schule, die er besuchte, im Mai 1992. "Im Radio hörte ich eine Sendung über den Deutschen Meister im Kopfrechnen und habe gemerkt: "Hoppla, ich kann ja schneller und besser rechnen als der."

Seitdem hat er nichts als Zahlen im Kopf. "Mein Rechenvermögen ist eine Mischung aus Veranlagung und Training", sagt er. Seine Mutter habe früher als Bankangestellte alle Kontonummern der Kunden im Kopf gehabt. Sein Vater könne perfekt rückwärts sprechen und seine Großmutter wisse alle Geburtstage der Einwohner von Rienharz bei Alfdorf.

Der erste öffentliche Auftritt machte ihn berühmt: 1994 löste er bei "Wetten, dass . . ?" Aufgaben - damals hoch 12 - blitzschnell. Inzwischen rechnen sich seine Fähigkeiten: Er bietet Seminare, Mentaltraining und Vorträge an und kann "gut davon leben." Täglich trainiert er mehrere Stunden, sein Zahlengedächtnis wie den Körper. Wie sein Vorbild Arnold Schwarzenegger betreibt er Bodybuilding: "Das hat viel mit mentaler Konzentration zu tun." Seine Motivation schöpft der Mann mit einem IQ von mehr als 200 aus der Liebe zur Zahl, "gepaart mit dem Gefühl, eine Leistung zu bringen, die niemand anderes auf der Welt kann".