Zeitungsgeschichte: Bremer Forscher sind sicher - Hamburg hatte schon im 17. Jahrhundert eine führende Rolle.

Hamburg gilt als Pressehauptstadt. Die Presseforscher der Universität Bremen sind jetzt zu einem weiteren erstaunlichen Ergebnis gekommen. "Mit gutem Recht kann die Hansestadt bereits im 17. und 18. Jahrhundert als deutsche Pressehauptstadt bezeichnet werden", sagt Prof. Dr. Holger Böning.

Rückblick auf eine bewegte Geschichte: Nach Zeitungsgründungen in Straßburg (1605) und Wolfenbüttel (1609) sowie in Frankfurt am Main (1615) und Berlin (1617) etablierte sich Hamburg 1618 als fünfte deutsche Stadt mit einer wöchentlich erscheinenden Zeitung: die "Wöchentliche Zeitung auß mehrerley örther", verlegt von dem Frachtunternehmer Johann Meyer. Sie existierte bis 1674 und erwies sich damit als erstaunlich langlebig.

Meyer hatte zuvor handschriftliche Zeitungen publiziert und setzte eine ungeahnte Entwicklung in Gang. Die junge Branche erlebte einen Paukenschlag. Georg Greflinger, Dichter und Publizist, veröffentlichte 1664 den "Nordischen Mercurius", der laut Böning "für die deutsche Zeitungslandschaft neue journalistische Maßstäbe setzte". Greflinger bemühte sich "um Vielfalt, Farbe und Stil und zeigt zukunftsweisend, dass Journalismus Kunst sein kann", so Forscherkollege Elger Blühm. Fast 70 Jahre brachte die Zeitung Nachrichten, Zeitgeschichte, Feuilletonistisches und Unterhaltendes. 1668 erschien der erste "Zeitungsroman", die "Entdeckung der Insul Pines" in drei Fortsetzungen.

Der nächste Zeitungscoup gelang dem Drucker Thomas von Wiering zehn Jahre später mit dem "Relations-Courier". Die Veröffentlichung von Warenpreisen, wie Zucker, missfiel jedoch der Kaufmannschaft, die sich in der Preisgestaltung gestört fühlte. Auch die Bekanntgabe von Konkursen und Versteigerungen passte vielen nicht. 150 Jahre existierte der "Courier". Dennoch konnten sich zwei andere Blätter im 18. Jahrhundert bedeutsam entwickeln: der "Altonaische Mercurius" und der "Reichs-Post-Reuter". Johann Peter Ludewig, der Kanzler der Universität Halle, konstatierte, dass die Hamburger Gazetten die "vollkommensten" seien.

Forscher Böning über das 18. Jahrhundert: "Kein anderer Zeitungsmarkt in Deutschland weist eine ähnliche Vielfalt auf wie der in Hamburg und Nachbarorten." Zur Vielfalt kam die Qualität. Die "Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten" (1731, Vorläufer seit 1721) hatte den Ruf, eine der bedeutendsten Zeitungen Europas zu sein. 1802 nannte sie sich "unbedingt das gelesenste Blatt Europas". 30 000 Exemplare waren damals sensationell viel. In der Pressegeschichte einmalig: Die intellektuell anspruchsvollste Zeitung war die beliebteste. Im 19. und 20. Jahrhundert verblasste der Ruhm. Dennoch ein Rekord: Das Blatt erschien 203 Jahre.

Seit 1767 gab es die "Hamburgischen Addreß-Comtoir-Nachrichten" und die "Neue Zeitung". Georg Christoph Lichtenberg, Physiker und Schriftsteller, hielt Letztere 1774 mit Matthias Claudius' "Wandsbecker Bothen" für die beste deutsche Zeitung. Auch Zeitgenosse Gotthold Ephraim Lessing ging mit der "Hamburgischen Dramaturgie" (1767) in die Geschichte ein - als erste Theaterzeitschrift in Deutschland. Die 1792 als Intelligenzblatt gegründeten "Wöchentlichen gemeinnützigen Nachrichten von und für Hamburg" (später: "Hamburger Nachrichten") errangen im 19. Jahrhundert Bedeutung. Weltweite Beachtung fand das Blatt nach 1888 als Sprachrohr des zurückgetretenen Reichskanzlers Bismarck, dem der Verleger "das gesamte weiße Papier zur Verfügung" gestellt hatte. Im 20. Jahrhundert erfolgreich: das "Hamburger Fremdenblatt", der "Hamburger Anzeiger" und Girardets "General-Anzeiger für Hamburg-Altona".

Nach der Übernahme durch Albert Broschek gelangen dem "Fremdenblatt" 1911 bahnbrechende Ergebnisse beim Kupfertiefdruck. Später schufen mit dem Pressehaus am Speersort ausgerechnet die Nationalsozialisten den Ausgangspunkt für Hamburgs aktuelle Position als Pressehauptstadt. Hier etablierten sich nach dem Krieg mit "Zeit", "Spiegel" und "Stern" die Meinungsführer, denen Zeitungen und Zeitschriften weiterer Verlage folgten.