Hamburger Hochschulen starten in die Parallelwelt. Ein Rundgang durch die dreidimensionale Internet-Präsenz.

So viel Platz gab es im Uni-Hauptgebäude in der Edmund-Siemers-Allee noch nie. Wo sonst verwinkelte Gänge, Verwaltungsbüros und wenig geräumige Hörsäle bei Hochbetrieb für drangvolle Enge sorgen, bietet sich dem Auge des Besuchers nun eine Ausstellungsfläche von den Ausmaßen eines Theatersaals. Im übrigen Gebäude geben großzügige Glasfronten den Blick auf die historische Fassade frei, der Hörsaal im ersten Stock ist vollgestopft mit modernster Technik. Jeder Platz ist mit einem Monitor ausgestattet, auf dem interaktive Schautafeln und Videos eingeblendet werden können und über die man Fragen direkt an den Dozenten richten kann. Stolz führt Dr. Torsten Reiners, Koordinator der virtuellen Universitätsinsel "University of Hamburg", Besucher durch die dreidimensionale Internet-Präsenz.

Nur drei Monate hat der Umbau gedauert, am 29. April ist die Eröffnung. Im wirklichen Leben wäre ein solches Projekt kaum realisierbar gewesen. Aber in der virtuellen Welt von Second Life geht alles etwas schneller, unkomplizierter und kostengünstiger vonstatten als im wirklichen Leben. "Das ist der große Vorteil: Man kann bauen und selbst ehrgeizigste Projekte in relativ kurzer Zeit umsetzen", sagt Reiners.

So wurde nicht nur dem Hauptgebäude von den Designern der beauftragten Medienagentur Büro X eine Frischzellenkur verpasst. Auf der Insel entstehen derzeit die ersten Präsenzen einzelner Projekte und eine sogenannte Sandbox, in der das Bauen und Programmieren eigener Objekte möglich ist. Ein riesiger Lageplan vor dem Hauptgebäude dient als "Projektfinder". In dem frei begehbaren Modell sind alle Einrichtungen der Universität auf einen Blick zu sehen. "Da sieht man mal, wie groß die Uni eigentlich ist", sagt Hanno Tietgens, Geschäftsführer von Büro X, während er mit zwei Schritten die Distanz von der Edmund-Siemers-Allee zum Allende-Platz überwindet. Später sollen hier Fahnen auf den Gebäuden der Fakultäten wehen, die mit Projekten in Second Life vertreten sind.

Vor einem halben Jahr wurde unter dem Namen "Campus Hamburg" in Second Life eine erste Plattform für die Hamburger Hochschulwelt geschaffen. Auf der als idyllische Inselgruppe gestalteten Anlage sind bereits die Erziehungswissenschaftler mit dem Seminar "Eventmanagement im Sport" sowie die Hamburg School of Business Administration (HSBA) präsent. Begleitet von Meeresrauschen und Möwengeschrei halten Dozenten aus aller Welt hier Vorlesungen und Seminare, ohne zu reisen. An einem voll funktionsfähigen Containerterminal lernen Studenten, wie das Be- und Entladen der Schiffe im Hamburger Hafen funktioniert, weitere Inseln warten auf neue Ideen. In der Gruppe "Students@work" engagieren sich Studierende aus unterschiedlichen Fachbereichen, um über die virtuelle Welt Kontakte zu realen Unternehmen zu suchen.

Das alles ist also weit mehr als Spielerei. Um das zu illustrieren, ist Reiners im blauen Arbeitsoverall zum Abendblatt-Interview auf den Uni-Inseln erschienen. Das heißt natürlich nicht er selbst, sondern sein Alter Ego, Avatar genannt. Auch seine Vorlesungen hält der Dozent der Wirtschaftsinformatik als virtuelles Wesen, Studenten lassen ihre Avatare im Auditorium Platz nehmen, während sie selbst zu Hause oder im Cafe an ihren PCs und Notebooks sitzen. Real sind hingegen die Inhalte der Lehrveranstaltungen, ebenso wie die Lehrscheine, die man hier erwerben kann.

Den Machern geht es um weit mehr, als die Hamburger Universitäten online nachzubauen. "Wir möchten eine Begegnungsstätte für Studierende und Lehrende aller Fakultäten schaffen, die zugleich ein Forschungslabor ist, in der neue Ideen entwickelt und erprobt werden können", erklärt Reiners. So können sich alle Interessierten mit Projektideen bei ihm melden. "Wenn wir der Meinung sind, dass etwas zu uns passt, stellen wir den Platz dafür bereit." Für alle anderen Hamburger Hochschulen und Bildungseinrichtungen steht "Campus Hamburg" als Plattform bereit, Ansprechpartner ist Büro X. Geschäftsführer Tietgens: "Second Life ist ein Medium des Austauschs, das neue Verbindungen und Kooperationen ermöglicht und neben den geografischen Grenzen auch die zwischen Fachbereichen, Hochschulen und Institutionen überwindet."

Zum Abendblatt-Interview hat der Initiator des "Campus Hamburg" ebenfalls seinen Avatar auf den virtuellen Campus geschickt. "Es sind ganz unglaubliche Möglichkeiten, die da auf uns zukommen, und ich freue mich ganz besonders darüber, dass die Idee in Hamburg auf viele offene Ohren gestoßen ist", erklärt der Kommunikationsexperte. Während Deutschland der Entwicklung vielfach noch hinterherhinke, mausere sich die Hansestadt dank des öffentlicher Unterstützung und einzelner Unternehmen derzeit zu einem Vorreiter in Sachen Virtualisierung. "Auch die HAW startet diese Woche, Institutionen wie Handelskammer, Wirtschaftsbehörde und kulturelle Einrichtungen wie das Schauspielhaus begleiten uns ebenfalls auf unserem Weg."

Als Ersatz für das wirkliche Leben sehen die Beteiligten das Projekt aber nicht. Im Gegenteil: "Je mehr man sich mit der virtuellen Welt befasst, desto mehr Verbindungen findet man zum wirklichen Leben", weiß Torsten Reiners aus eigener Erfahrung. "Man geht in Second Life einfach ungezwungener aufeinander zu. Hat man erst einmal Gemeinsamkeiten gefunden, kann man sich natürlich auch jederzeit zu einem Kaffee oder einem Bier treffen." Einem echten, versteht sich.