Die Bürosoftware aus Hamburg ist der große Konkurrent von „Microsoft Office“. Ein Einblick in die Entwicklungswerkstatt.

Bills Herausforderer sitzt in Hammerbrook: "Lieber Onkel Bill, du musst jetzt ganz tapfer sein", steht auf den Plakaten in den langen Fluren des schmucklosen Bürogebäudes in der City-Süd geschrieben. Von dem Bild lächelt ein hagerer Junge mit großen Brillengläsern. In den weiß getünchten, karg eingerichteten Büros könnten Versicherungsmitarbeiter, Finanzbeamte oder Verwaltungssachbearbeiter sitzen. Der Blick in die oberen Stockwerke des Bürohauses am Sachsenfeld 4 ist eher unspektakulär - und doch ist die Adresse in Hamburg Schauplatz eines der spannendsten Kämpfe der weltweiten Softwarebranche. Hier in Hamburg entsteht der derzeit einzige wirkliche Konkurrent zur marktbeherrschenden Bürosoftware "Microsoft Office" - hier wird das vom Hamburger Marco Börries gegründete und 1999 an den amerikanischen Computerkonzern Sun Microsystems verkaufte "Star Office" entwickelt. Doch auch wenn die Konferenzräume der Softwareentwickler die Namen von Städten im Silicon Valley (Palo Alto, Mountain View etc.) tragen, ist Star Office mitnichten ein kalifornisches Produkt geworden. "Die Hauptarbeit wird weiter in Hamburg geleistet", sagt Jörg Heilig. Der 34-Jährige ist Entwicklungsleiter bei Sun, zuständig für Star Office. "Der Standort Hamburg wurde seit dem Verkauf an Sun deutlich ausgebaut", sagt Heilig. Die Zahl der Mitarbeiter stieg um rund 30 Prozent auf 150. Im Vergleich zum Giganten Microsoft ist das immer noch winzig: Während an der Star-Office-Familie bei Sun weltweit rund 300 Leute arbeiten, sind es bei Microsoft Office angeblich rund 5000. In den beiden Räumen, in denen der Hauptbestandteil des Bürosoftwarepaketes, die Textverarbeitung Star Writer, programmiert wird, sitzen gerade einmal acht Leute vor ihren Computern. Neben dem Schreibprogramm enthält das Office-Paket noch eine Tabellenkalkulation, ein Präsentationsprogramm, ein Zeichenprogramm und eine Datenbank. Lediglich ein Pendant zur Kommunikationszentrale "Outlook" fehlt beim Vergleich mit dem großen Bruder von Microsoft. Auch wenn die Star-Office-Programmierer immer noch in den gleichen Büros sitzen, so hat sich seit dem Verkauf an Sun doch einiges geändert. Heilig: "Wir sind jetzt Teil eines großen internationalen Konzerns - das hat viele Vorteile." Früher hätten Kunden häufig gefragt: "Wie lange gibts euch denn noch?" Heute hätten die Kunden da viel mehr Vertrauen. Doch es gibt natürlich auch Kehrseiten: "Wir sind nicht mehr das kleine wendige Motorboot, das letzte Änderungen an Software-Version noch in der Nacht vor der CeBIT machen kann", sagt der Chefentwickler. Für viele ehemalige "Star Division"-Mitarbeiter war es eine mächtige Umgewöhnung, dass nicht mehr abends um acht ein Herr Börries vorbeikam und fragte: "Was hast du heute gemacht?" Immerhin haben die Hamburger Programmierer gerade einen entscheidenden Schritt getan und die Betaversion (Vorabversion) von Star Office 6.1 fertig gestellt. Das Programm wird jetzt sowohl von freiwilligen Benutzern weltweit als auch von Testern in den Sun-Büros in der City-Süd auf Herz und Nieren geprüft. "No Bugs allowed" - keine Fehler erlaubt, steht auf dem Zettel, der an der offenen Bürotür klebt. Die Tester Thorsten Bosbach, Jörg Sievers, Helge Delfs und Fredrik Hägg sitzen gleich vor mehreren Computern und prüfen das neue Büroprogramm mit automatisch durchlaufenden Scripten. Wie von Geisterhand werden hier Texte eingegeben, Dialogfelder geöffnet oder Tabellen formatiert. "Bis zu 20 Stunden arbeitet ein Rechner an so einem Test", sagt Helge Delfs. Manchmal allerdings gibt es auch schon nach 20 Sekunden einen Absturz, räumt er ein. Dann untersucht er den Fehler und sagt den Kollegen Programmierern drei Zimmer weiter Bescheid. Doch auch mit der Opensource-Initiative für Star Office - der Offenlegung des Programmcodes hat sich viel verändert: "Früher war unsere größte Befürchtung, dass Software-Geheimnisse aus dem Haus gelangen könnten, jetzt können wir ganz offen sein", sagt Heilig. Denn durch das Opensource-Projekt wird die Bürosoftware - ähnlich wie das freie Betriebssystem Linux - weltweit von engagierten Programmierern weiterentwickelt. Ende vergangener Woche fand die erste weltweite "Openoffice.org Konferenz" mit 300 Entwicklern in der Universität Hamburg statt. Die aktuelle Opensource-Version wurde bereits mehr als zehn Millionen Mal aus dem Internet heruntergeladen. Doch auch das kommerzielle "Star Office" (Version 6) von Sun wurde seit Mai vergangenen Jahres bereits drei Millionen Mal verkauft. "25 000 Versionen von Star Office laufen allein auf Rechnern des amerikanischen Verteidigungsministeriums im Pentagon", sagt Sun-Produkt-Manager Carsten Müller. Darüber hinaus, so der 32-Jährige, arbeiten viele Universitäten, das Deutsche Elektronen-Synchrotron (DESY) in Bahrenfeld und diverse Oberfinanzdirektionen mit der Software aus Hamburg. Noch haben Star Office und deren freie Schwester OpenOffice in der Welt der Windows-Betriebssysteme nur einen Marktanteil von drei Prozent. Doch die Hamburger haben (mit Unterstützung aus dem sonnigen Kalifornien) ehrgeizige Pläne: "Bis Ende 2004 wollen wir zehn Prozent schaffen und die klare Nummer zwei am Markt sein", sagt Jörg Heilig. Onkel Bill muss tapfer sein . . .