Berlin.

Für Thies Weisner aus Selent in Schleswig-Holstein war das Leben mitten in einem Trainingsspiel seines Fußballvereins kurz zu Ende. Das war vor drei Jahren. Weisner war gerade einmal 23 Jahre alt. „Plötzlich bin ich einfach umgekippt, die Atmung wurde flacher und mein Herz hat aufgehört zu schlagen“, erzählt Thies Weisner. „Erinnern kann ich mich an nichts mehr.“

Kein ungewöhnlicher Fall: Der plötzliche Herztod ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Doch die Helferquote beim Herzkreislaufstillstand liegt hierzulande derzeit nur bei etwa 40 Prozent. Das zeigen die aktuellen Daten der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit im unteren Drittel.

Dabei sind die Maßnahmen zur Wiederbelebung eines Menschen simpel. „Vereinfacht lässt sich das auf drei Punkte zusammenfassen: Prüfen, Rufen, Drücken“, erklärt Bernd Böttiger, Vorstandsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). „Das ist kinderleicht.“ Daher sollten sich Laien in Notsituationen genau darauf konzentrieren – auch wenn das Feld „Erste Hilfe“ an sich natürlich ein sehr viel größeres sei.

Die Leitstelle fragt alle wichtigen Informationen ab

„Man sollte zunächst einmal darauf achten, dass man sich selbst nicht in Gefahr begibt“, so Peter Sefrin, Bundesarzt beim Deutschen Roten Kreuz. Dann kommt das „Prüfen“: Den Betroffenen laut ansprechen, vielleicht auch zwicken. „Reagiert derjenige nicht, sollte man den Kopf leicht überstrecken und horchen und schauen, ob der Betroffene noch normal atmet“, erklärt Bernd Böttiger. Sei das nicht der Fall, könne man laut den Experten davon ausgehen, dass es sich um einen Kreislaufstillstand handelt.

Jetzt sei Eile geboten und es heißt „Rufen“, also die 112 wählen – europaweit. „Das Wichtigste hier ist, dass Sie nicht vor lauter Aufregung wieder auflegen“, so Böttiger. Alle wichtigen Informationen wie der Standort werden von der Leitstelle abgefragt. „Im Zweifelsfall sollte man auch einmal laut um Hilfe rufen, damit ein paar Leute mithelfen“, ergänzt DGAI-Präsidiumsmitglied Jan-Thorsten Gräsner. Dann kommt schon das „Drücken“: Dafür kniet man sich neben den Menschen und macht den Oberkörper vorne frei. Auf einer Linie zwischen den Brustwarzen identifiziert man das Brustbein. An diese Stelle legt man die Hände mit dem Handballen übereinander – die Arme bleiben durchgestreckt. „So haben Sie mehr Kraft und Power“, so Böttiger.

Gedrückt wird dann mit einer Frequenz von etwa zweimal pro Sekunde. Das entspricht ungefähr dem Rhythmus von Liedern wie „Stayin’ Alive“, „Highway to Hell“ und „Atemlos“. Wichtig sei auch, wie fest man drückt: „Fünf bis sechs Zentimeter tief muss es sein“, so Böttiger. Als grobe Orientierung könne hier die Breite eines alten Smartphones dienen. „Wenn ich nichts anderes gelernt habe oder mir unsicher bin, dann sollte man das einfach so lange machen, bis die Rettungskräfte da sind“, rät Gräsner. „Drücken ist Pflicht, Beatmen – wenn ich es mal gelernt habe – die Kür.“

Im Zweifelsfall bricht man dem Betroffenen bei einer Herzdruckmassage schon mal eine Rippe. Wer als Laie im Notfall jedoch nach bestem Wissen und Gewissen handle, der habe rechtlich nichts zu befürchten, erklärt Joachim Berger vom Fachbereich Erste Hilfe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Nicht helfen, das sei der einzige Fehler, den man machen könne. Da sind sich alle einig. „Laut Paragraf 323c des Strafgesetzbuches ist man dazu rechtlich sogar verpflichtet“, so Berger. Wer in einer Notsituation nicht helfe, so gut er könne, der begehe eine Straftat.

„Ist jemand in Not, sollte man dennoch immer fragen, ob derjenige auch tatsächlich Hilfe möchte“, so Berger. „Wenn jemand nicht mehr ansprechbar ist, wird die Zustimmung automatisch unterstellt.“ Aus Scheu zu zögern, sei laut den Experten fatal, denn: In Deutschland ist der Rettungsdienst zwar mit durchschnittlich zehn Minuten sehr schnell am Einsatzort. „Doch in dieser Zeit brauchen wir den Ersthelfer“, so DRK-Bundesarzt Sefrin. „Wir können mit unseren Möglichkeiten, die wir heute schon in der Medizin haben, nicht das Gleiche erreichen, wenn die ersten zehn Minuten nicht ausreichend mit Maßnahmen der Ersten Hilfe überbrückt wurden.“

„Schon eine Minute verpasste Herzdruckmassage bedeutet zehn Prozent geringere Überlebenschancen“, betont Sefrin. Das wüssten nur viele nicht. Die Maßnahme sei damit zwar nicht die häufigste Erste-Hilfe-Leistung, aber vom Erfolg eine der gravierendsten. „Wenn Sie in der Wartezeit keine Herzdruckmassage machen, dann sind die Chancen gering, dass so jemand überhaupt überleben könnte.“

Wenn dagegen jeder, der einen Herzkreislaufstillstand beobachtet, Erste Hilfe leisten und sofort mit einer Herzdruckmassage beginnen würde, könnten jedes Jahr rund 10.000 Leben, in Europa über 100.000 Leben, zusätzlich gerettet werden, schätzt die DGAI.

„Wenn Sie die Leute fragen, warum sie keine Erste Hilfe geleistet haben, dann kommt immer als erstes Argument, ich habe Angst, etwas falsch zu machen“, erklärt Sefrin. Das ist laut dem leitenden Notarzt in Würzburg auch kein Wunder: „Die durchschnittliche Zeit, die ein Erste-Hilfe-Kurs zurückliegt, liegt laut Untersuchungen bei 15 Jahren.“ Dadurch bestehe sehr große Unsicherheit. Die Kenntnisse, die man obligatorisch beim Erwerb des Führerscheins einmal erworben habe, seien einfach nicht mehr präsent.

Das zeigte auch eine gemeinsame Studie von DRK und ADAC. „Es waren Tausende, die sich an einem Test beteiligt haben, in dem Erste-Hilfe-Wissen nur theoretisch abgefragt wurde und nicht mal praktisch“, fasst Sefrin zusammen. „Die richtigen Ergebnisse lagen bei einer Größenordnung von 0,9 Prozent.“ Hinzu kommt: „Erste Hilfe ist genau wie die Medizin fließend – es gibt also ständig Neuerungen“, so Sefrin. Das betrifft beispielsweise die Reanimation, aber auch die stabile Seitenlage wurde vereinfacht. Aber nicht nur deshalb sei es sinnvoll, in regelmäßigen Abständen einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen. „Es geht auch darum, eine gewisse Sicherheit zu bekommen und Erste-Hilfe-Maßnahmen dann auch im Ernstfall in der Hektik durchführen zu können.“

Thies Weisner hatte Glück: Einer seiner Teamkollegen hatte erst wenige Tage zuvor einen Erste-Hilfe-Auffrischungskurs gemacht. „Am Ende haben drei meiner Freunde sofort mit der Herzdruckmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung begonnen, um die Sauerstoffversorgung in meinem Gehirn zu gewährleisten“, erzählt Weisner. „Die Rettungskräfte haben mich dann mit einem Defibrillator zurück ins Leben geholt.“ Dass seine Teamkollegen keine Sekunde gezögert haben, dafür ist er unglaublich dankbar: „Die drei haben das so gut gemacht, dass ich gar keine Schäden davongetragen habe.“