Berlin. Der Bundesrechnungshof fürchtet eine Überversorgung. Doch die Behandlung richte sich nach festen Kriterien, sagt eine Kieferorthopädin

Das Brackets-Lächeln gehört in jede Schulklasse. Verschönert mit bunten Gummis, ist die Zahnspange für viele Jugendliche in Deutschland fester, ungeliebter Teil der Pubertät. Laut der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung ist mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Deutschland bei einem Kieferorthopäden in Behandlung. 1,1 Milliarden Euro gaben die gesetzlichen Krankenkassen 2016 für kieferorthopädische Behandlungen aus.

Doch in den vergangenen Tagen wurden Kritiker laut, die eine Überversorgung bemängeln. Ausgelöst hat die Debatte, die seit Jahren immer wieder geführt wird, ein Bericht des Bundesrechnungshofs. Die oberste Bundesbehörde fordert darin, den Nutzen der kieferorthopädischen Behandlung „endlich“ zu erforschen. Es bestehe der Eindruck einer großen Kluft zwischen praktischer Anwendung kieferorthopädischer Maßnahmen und der wissenschaftlichen Erforschung ihrer Wirksamkeit, heißt es in dem Bericht.

„Kinder und Jugendliche werden behandelt, wenn durch eine Fehlstellung das Kauen, Beißen oder Atmen erheblich beeinträchtigt sind“, hält Professorin Bärbel Kahl-Nieke dagegen. Sie ist Direktorin des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). „Oder wenn eine Beeinträchtigung in der Zukunft droht“, ergänzt sie. Diese Regeln, festgeschrieben in den sogenannten kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG), seien gut und aktuell.

Die Gesetzlichen Krankenkassen übernehmen in diesen medizinisch notwendigen Fällen die Kosten der Behandlung. Zunächst nur 80 Prozent, die restlichen 20 Prozent schießen die Eltern vor. Diese werden dann bei erfolgreichem Abschluss der Behandlung erstattet. „Was die Kasse nicht zahlt, ist alles, was ,schön’ aussieht“, sagt Kahl-Nieke. Also etwa durchsichtige Brackets, „oder aber sogenannte dezente Befunde wie einen eingedrehten Zahn“. Es gebe also keine Notwendigkeit, eine kieferorthopädische Behandlung privat zu bezahlen. „Das medizinisch Notwendige wird von den Kassen abgedeckt.“

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen rät Eltern, sich nach jedem Behandlungsschritt eine Rechnung ausstellen zu lassen. So hätten Eltern die Chance, regelmäßig zu überprüfen, was genau gemacht wurde, was nötig ist und worauf man verzichten kann.

Die Kritik an der fehlenden Evidenz der Behandlung kann Kahl-Nieke nicht verstehen. Es gebe zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit der Behandlungen belegten. Ein Problem räumt sie jedoch ein: „Es gibt in unserem Fachbereich selten Kontrollstudien.“ Denn es sei ethisch nicht zu vertreten, ein Kind mit Fehlstellung kieferorthopädisch zu versorgen, und das andere nicht.

Kahl-Nieke rät Eltern, sich vor der Behandlung ausführlich beraten zu lasen. „Sie haben ein Recht auf eine angemessene Erstuntersuchung des Kindes“, sagt sie. Auf deren Basis bekomme man dann in der Regel mehrere Therapievorschläge. „Und wenn der Arzt das Vorgehen schlüssig und nachvollziehbar erklären kann, ist das die halbe Miete.“

Sind Eltern trotzdem unsicher, können sie sich eine Zweitmeinung einholen. Darauf weist die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz hin. „Das ist erlaubt und außerdem ist es wichtig, dass Eltern der Einschätzung des Kieferorthopäden vertrauen“, sagt auch Bärbel Kahl-Nieke. Denn man arbeite schließlich drei bis vier Jahre zusammen.