Hamburg. Flugzeug-Ingenieure untersuchen eine 5000 Jahre alte Scheibe aus dem Grab von Prinz Sabu. Denn niemand kann sich erklären, wozu sie diente

Irgendwann im September 2017 klingelt das Telefon in der Pressestelle bei Airbus. Das ZDF ist am anderen Ende der Leitung. Doch Filmemacherin Gisela Graichen möchte gar nichts über den A380 oder A320, sie möchte gar nichts über Flugzeuge wissen. Sie sucht die Antwort auf eine Frage, über die Wissenschaftler schon seit gut 80 Jahren rätseln. Welchem Zweck diente diese seltsame Scheibe, die 1936 im Grab des ägyptischen Prinzen Sabu entdeckt wurde?

Die Scheibe sieht wie ein futuristischer Propeller oder eine Turbine aus – doch sie ist 5000 Jahre alt. Das ZDF erhofft sich Hilfe von den Technikern bei Airbus: Stammt die Sabu-Scheibe wirklich – wie in einschlägigen Internetforen immer wieder vermutet – von irgendeinem Fluggerät? Könnten die Experten des Flugzeugbauers sich das einmal ansehen? „Ich war sofort begeistert“, erinnert sich der Leiter der Zukunftstechnologie bei Airbus, Peter Sander.

Die Sabu-Scheibe zählt zu den sogenannten Out-of-Place Artifacts – zu Funden, die an einem Platz entdeckt wurden, an dem sie nach allen historischen Erkenntnissen eigentlich gar nicht sein dürften. Entdeckt wurde die Scheibe 1936 vom britischen Archäologen Walter B. Emery im Gräberfeld Sakkara, etwa 20 Kilometer südlich von Kairo. Die Scheibe ist aus Schiefer geformt und befand sich in der Mitte der Grabkammer des Prinzen Sabu. Die prominente Position im Grab deutet nach Ansicht vieler Forscher darauf hin, dass es sich hier um eine bedeutende Grabbeigabe handelt, denn normalerweise befindet sich an dieser Stelle der eigentlich Begrabene.

Gisela Graichen, die Anruferin bei Airbus, ist seit 30 Jahren spezialisiert darauf, Archäologie für das Fernsehen zu recherchieren und spannend in Szene zu setzen. Für ihre Reihen „Schliemanns Erben“ und „Humboldts Erben“ wurde sie ausgezeichnet. Sie macht Archäologie so spannend, als wäre sie ein Krimi, als könnten ihre Protagonisten auch die Vorbilder für Steven Spielbergs Indiana Jones sein.

„Wenn man seit 30 Jahren Filme über die Archäologie macht, dann stößt man immer wieder auf Dinge, die schier unglaublich sind und die es nach unserer Logik so eigentlich nicht geben dürfte“, sagt Gisela Graichen. Viele dieser Fälle haben die Hamburgerin einfach nicht mehr losgelassen. Gemeinsam mit Regisseur Peter Prestel und einem kleinen Filmteam zog sie um die Welt und ging den Rätseln der Archäologie für das ZDF mit aller erdenklichen Hilfe nach – auch mit der von Airbus.

Bei so viel Rätselhaftem, so großer Spannung zögerte Peter Sander nicht lang: Der Airbus-Entwickler und 3-D-Spezialist scharte gleich eine ganze Reihe weiterer Experten und Studenten aller Fachbereiche um sich: die Airbus-Entwicklerschmiede Proto-Space im Zentrum für angewandte Luftfahrtforschung (ZAL), das Laserzentrum Nord in Hamburg-Bergedorf, Aerodynamik-Spezialisten, Bionik-Ingenieure, Flugingenieure und weitere 3-D-Druck-Experten. Insgesamt 17 Airbus-Mitarbeiter und Studenten sagten gleich spontan ihre Unterstützung zu.

Bereits nach drei Tagen hatte der 25 Jahre alte Luft- und Raumfahrtstudent John Demand im Proto-Space anhand der Beschreibungen, Zeichnungen und Fotos einen Miniaturnachbau der Scheibe mit einem Durchmesser von etwa 25 Zentimetern (statt der originalen 61 Zentimeter) mit dem 3-D-Drucker aus Kunststoff produziert. Und wenig später fand bereits der erste Versuch auf einer Wiese des Airbus-Geländes statt: Die Scheibe fliegt! Zumindest als Frisbee-Scheibe eignet sie sich vortrefflich. Doch die Grabbeigabe war aus schwerem Schiefer. Damit wäre ein Frisbee-Spiel wohl undenkbar gewesen.

Im zweiten Schritt wurde am Laserzentrum-Nord die Scheibe in Originalgröße nachgebaut und im Airbus-Windkanal getestet. „In der Tat gab das Strömungsverhalten der Scheibe ein Auftriebsverhalten, doch als Propeller oder Turbine eignete sie sich überhaupt nicht. Der Test im Windkanal hat gleich unsere Vermutungen bestätigt: Die Scheibe ist definitiv kein Propeller“, erklärt Sander.

Anschließend untersuchten die Airbus-Ingenieure, ob es sich bei der Sabu-Scheibe vielleicht doch bereits um ein Rad gehandelt haben könnte. Doch der Schaft in der Mitte ist für eine Kraftübertragung völlig ungeeignet. Zu unrund und zu schwach ist seine Kon­struktion. „Ich war eigentlich lange auf dieser Schiene – aber bei allen Versuchen: Da dreht sich leider nichts“, sagt Airbus-Entwickler Sander.

Oder ist die Scheibe vielleicht eine Nachbildung ganz natürlicher Formen? Bionik-Experten der Uni Bremen, die eng mit Airbus zusammenarbeiten, untersuchten auch das. Und in der Tat: Es gibt eine spannende Ähnlichkeit mit Strukturen in der Biologie. Die Scheibe aus dem alten Ägypten sieht aus wie eine riesige Kieselalge. Das einzige Problem dieser Theorie: Die Ägypter konnten die Kieselalgen gar nicht sehen. Sander: „Kieselalgen messen nur etwa einen Zehntelmillimeter – sie sind etwa so groß wie ein Sandkorn. Ihre Strukturen sind für das menschliche Auge ohne Mikroskop nicht wirklich sichtbar.“

Mit den modernsten Methoden der Ingenieurwissenschaften ein jahrtausendealtes Rätsel (um das sich reichlich Mythen ranken) versuchen zu lösen, das faszinierte Peter Sander auf Anhieb. Sander ist Vorreiter in Sachen 3-D-Druck. Das Thema beschäftigt ihn schon seit vielen Jahren, und Airbus-intern heißt er deshalb auch gern „der ­3-D-Papst“. Er hat es mit seinem Team ins „Guinness-Buch der Rekorde“ des Jahres 2018 geschafft und als Erster ein komplettes, vier Meter langes Flugzeug „ausgedruckt“, das sogar autonom fliegt. Mittlerweile können 3-D-Drucker nicht nur Kunststoff ausdrucken, sondern auch alle schweißbaren Metalle. Und so druckten die Airbus-Forscher die Scheibe auch aus Titan, Aluminium und Stahl aus.

„Ein technisches Gerät ist die Scheibe auf keinen Fall. Das war uns nach den Tests klar“, erklärt der 60 Jahre alte Ingenieur und fügt hinzu: „Mich hat das Thema gar nicht wieder losgelassen.“ Also wurde weiter gegrübelt. Der spannendste Versuch, den Sander und sein Team schließlich starteten, hat nichts mit Fliegerei zu tun – sondern mit Feuer. Sander schüttete Paraffin in die Metallvariante der Scheibe und zündete sie an. Der Effekt war erstaunlich: Durch die innen liegenden „Flügel“ entstehen offensichtlich Verwirbelungen, die die Flamme tanzen lassen.

„Das ist wie Kino“, sagt Sander. Selbst aus der 20 Zentimeter großen Mini-Variante der Scheibe tanzen die Flammen 60 Zentimeter hoch. Die Originalscheibe würde Flammen von bis zu zwei Meter Höhe tanzen lassen. Aus Ingenieursicht ist dies die wahrscheinlichste Erklärung: Die Sabu-Scheibe könnte eine Feuerschale für Zeremonien gewesen sein. Die innen liegenden Flügel sorgen nicht nur für das tanzende Feuer, sie halten auch die Flammen von den drei Griffen ab. Peter Sander und sein Team haben also eine mögliche Antwort auf das Rätsel gefunden. Zumindest aus dem Blickwinkel des Ingenieurs. Für Archäologen hingegen bleiben noch viele Fragen.

Terra X – Ungelöste Fälle der Archäologie: Im Film dokumentieren Gisela Graichen
und Regisseur Peter Prestel neben der
Sabu-Scheibe weitere spannende Rätsel.
Sonntag, 1. April, 19.30 Uhr, ZDF