Cambridge. Forscher: Grönlands Gletscher verlieren täglich eine Milliarde Tonnen Eis

Der Eisschild in Grönland könnte schneller ausdünnen als bislang angenommen. Ein internationales Forscherteam um Poul Christoffersen von der englischen Universität Cambridge hat einen Mechanismus entdeckt, der viele Gletscherseen innerhalb kurzer Zeit abfließen lässt. Das Wasser sorgt am Boden des Gletschers dafür, dass der Eisfluss sich drastisch beschleunigt und zunehmend Eis ins Meer gelangt. Das beschleunige den Anstieg des Meeresspiegels, mahnen die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.

„Dieser Eisschild, der 1,7 Millionen Quadratkilometer bedeckt, war vor 25 Jahren relativ stabil, verliert aber heute täglich eine Milliarde Tonnen Eis“, wird Christoffersen in einer Mitteilung seiner Universität zitiert. Allein dadurch steige der Meeresspiegel jährlich um einen Millimeter, „eine viel höhere Rate, als noch vor ein paar Jahren vorhergesagt wurde“. Der Weltklimarat (IPCC) ging in seinem jüngsten Bericht Anfang 2014 davon aus, dass Schmelzwasserseen keinen Einfluss auf das Fließen eines Gletschers haben. Christoffersen und Kollegen zeigen hingegen, wie diese Seen, die sich in Frühjahr und Sommer auf dem Eis bilden, Gletscher in Bewegung bringen. Sie werteten Satellitenaufnahmen einer 9000 Quadratkilometer großen Fläche in Westgrönland aus dem Jahr 2010 aus. Dabei erfassten sie 663 Ereignisse, bei denen Gletscherseen verschwanden. Allein von 6. bis 10. Juni flossen 124 Seen in den Untergrund ab.

Auf Basis der Beobachtungen und der Kenntnisse über die fünf Gletscher in dem Gebiet entwarfen die Forscher ein Modell, das die Ereignisse abbildete. Zugleich entwickelten sie eine Theorie, wie ablaufende Seen eine Kettenreaktion in Gang setzen können. Dies beginnt damit, dass durch eine Gletschermühle – ein größeres Loch im Eis – große Mengen Schmelzwasser zum Grund des Gletschers strömen. Dort verteilt sich das Wasser zwischen dem felsigen Untergrund und dem Eis. Dies verringert die Reibung zwischen Eis und Fels, auf abschüssigem Untergrund gerät der Gletscher in Bewegung. An der Oberfläche reißen dadurch neue Spalten auf, alte vertiefen sich – wiederum weitere Seen entleeren sich. „In einem Fall verloren 58 von 59 beobachteten Seen ihr Wasser in einer einzigen Kettenreaktion“, sagt Christoffersen. Dem Computermodell zufolge können ablaufende Seen die Fließgeschwindigkeit eines Gletschers im Sommer im Vergleich zum Winter vervierfachen.