Berlin. Viele Deutsche finden es in Ordnung, Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit einzunehmen

Besserer Schlaf, weniger Angst, mehr Leistung und Konzentration: Pillen, die das Leben erleichtern sollen, sind in großen Teilen der deutschen Bevölkerung akzeptiert. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-­Umfrage im Auftrag der Bundesapothekerkammer (BAK) unter 5000 Deutschen zwischen 16 und 70 Jahren. Demnach akzeptieren 43 Prozent der Deutschen die Einnahme verschreibungspflichtiger Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit. 17 Prozent von ihnen haben das sogar schon einmal getan. Als wichtigster Grund für die Einnahme von Medikamenten ­wurde die Verbesserung der Stimmung oder die Reduzierung von Nervosität und Angst angegeben.

Diese Zahlen decken sich mit den alltäglichen Erfahrungen der Apotheker, wie BAK-Präsident Andreas Kiefer auf dem Symposium „Arzneimittelmissbrauch“ in Berlin sagte. „Die Einstellung zu Arzneimitteln in der Bevölkerung hat sich verändert“, sagte Kiefer. „Die Nachfrage nach Medikamenten, die Lebenssituationen verbessern, steigt.“ Vor diesem Hintergrund hat die BAK einen neuen Leitfaden für ihre Apotheker im Umgang mit Arzneimittelmissbrauch entwickelt.

Andreas Kiefer nennt das Ergebnis der Umfrage erschreckend. Es herrsche zunehmend eine Alles-ist-möglich-Mentalität. „Die Biologie des Menschen hat sich aber nicht verändert.“ Will sagen: Nur weil eine Steigerung des Wohlbefindens durch Pillen gesellschafts­fähiger wird, bleibt das Risiko von Missbrauch oder Abhängigkeit.

Die Verharmlosung rezeptfreier oder frei verkäuflicher Medikamente ist noch weiter verbreitet als bei verschreibungspflichtigen Präparaten: 30 Prozent der Befragten gaben an, sie schon mal zur Steigerung des Wohlbefindens eingenommen zu haben, für weitere 25 Prozent käme es infrage.

In Deutschland sind laut Befragungen 1,4 bis 1,5 Millionen Menschen abhängig von Arzneimitteln. Die meisten von ihnen von sogenannten Benzodiazepinen oder ähnlichen Arzneistoffen, die zum Beispiel angstlösend, beruhigend und schlaffördernd wirken. Am bekanntesten ist der Arzneistoff Diazepam, der auch in Valium enthalten ist. „Schon eine Tablette am Tag eines Benzodiazepins kann abhängig machen“, erklärt Professor Martin Schulz, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. Insgesamt werde vier bis fünf Prozent aller verordneten Arzneimittel ein Missbrauchs- oder ­Abhängigkeitspotenzial zugeschrieben.