Nijmegen. Forscher analysieren, welche Gene beim Phänomen Synästhesie eine Rolle spielen

Synästhesie zählt zu den rätselhaftesten Phänomenen der menschlichen Sinneswahrnehmung. Seit 130 Jahren ist bekannt, dass die Fähigkeit, Töne in Farben zu sehen, in manchen Familien gehäuft auftritt. Dies deutet auf eine starke Rolle von Erbfaktoren hin. Forscher haben nun die genetischen Grundlagen der Klang-Farb­Synästhesie analysiert.

Das Team um Simon Fisher vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen untersuchte dazu die Genome von drei Familien, bei denen über mindestens drei Generationen fünf oder mehr Mitglieder betroffen waren. Die Analyse ergab, dass die Beteiligung von 37 Genen an dem Wahrnehmungsphänomen wahrscheinlich ist. Sechs davon halten die Forscher für besonders spannend,

Zwar teilten die drei Familien keine auffälligen Erbanlagen, aber sie hatten Genvarianten für ähnliche Funktionen, die im Seh- und dem Hörzentrum besonders aktiv sind. Dies beschreiben die Forscher im „Proceedings“ der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“). Diese Funktionen treten ab der frühen Kindheit auf und sind eng mit der sogenannten Axogenese – also der Bildung und Ausrichtung von Fortsätzen der Nervenzellen, die sich mit Zellen in anderen Hirnregionen vernetzen ­– verknüpft. Dem Team zufolge haben Länge und Lage der Nervenfasern sowie ungewöhnliche Verästelungen und andere Veränderungen der Form Einfluss auf die Stärke der Vernetzung, die sich durch die Axogenese formt.

Eine britische Studie zeigte bereits, dass 4,4 Prozent der dortigen Bevölkerung mindestens eine Form dieses speziellen Wahrnehmungsphänomens aufweisen. „Die Erkenntnisse der jetzigen Studie könnten als Startpunkt dienen, um die Ursprünge des Phänomens zu ergründen“, erklärten die Forscher in „PNAS“. „Diese Studie enthüllt, wie genetische Unterschiede – möglicherweise über eine veränderte Vernetzung im Gehirn – unsere Sinneserfahrungen beeinflussen können“, so Ko-Autor Simon Baron-Cohen von der Cambridge University in einer Max-Planck-Mitteilung. Die Synästhesie sei ein eindeutiges Beispiel für Neurodiversität, die wir respektieren und schätzen sollten.