Berlin.

Manche schmecken nussig, andere haben Zitrusaroma, wieder andere erinnern an Krabben – in vielen Ländern der Welt sind Insekten die Nahrungsgrundlage. In Europa haben hingegen nur die wenigsten Erfahrung mit den Krabblern. Das könnte sich bald ändern: Ab dem 1. Januar gilt die neue Novel-Food-Verordnung. Dann können Hersteller eine Zulassung für insektenhaltige Produkte bei der EU beantragen und sie auch in Deutschland verkaufen. Lebensmittel aus verarbeiteten Insekten waren in der Bundesrepublik bislang nicht erlaubt.

Heute scheint es kaum noch vorstellbar, aber auch in Deutschland waren Insekten auf dem Mittagstisch früher nicht ungewöhnlich. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hätten Mitteleuropäer zum Beispiel Maikäfersuppe gegessen, erklärt Insektenforscher Arnold van Huis von der Universität Wageningen. Doch mit steigendem Wohlstand verschwanden die Krabbler von der Speisekarte. Ein Grund war wohl ihre im Vergleich etwa zu afrikanischen Verwandten eher kümmerliche Erscheinung, vermutet van Huis. „Bei warmen Temperaturen können sich Insekten besser entwickeln, werden größer und es gibt mehr Arten.“

Die appetitlicheren Spezies können heute importiert werden. Zwar gibt es auch in Europa mittlerweile Insektenfarmen, zum Beispiel in den Niederlanden. Dennoch sei in der EU bislang nur ein Bruchteil der mehr als 2100 essbaren Insektenarten erhältlich, sagt van Huis. Dabei böten die Tiere eine Möglichkeit, den Proteinbedarf der wachsenden Weltbevölkerung zu decken.

Käfer sollen Proteinbedarf der Weltbevölkerung decken

Die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen versucht deshalb schon seit 2003, Menschen Insekten schmackhaft zu machen und die Forschung auf dem Gebiet zu verstärken. Gesundheitlich stünden Insekten dem Nährwert von Fleisch in nichts nach, so die FAO. Die Inhaltsstoffe variierten je nach Insektenart, Ernährung oder Alter. Mehlwürmer – die Larven von Mehlkäfern – enthielten beispielsweise ähnlich viele ungesättigte Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren wie Fisch. Insgesamt gelten sie als weitgehend fettfrei und voller hochwertiger Proteine und anderer wichtiger Nährstoffe.

Bislang habe die Gesetzgebung in Europa Produktion und Verkauf von verarbeiteten Insekten für den Nahrungsmarkt erschwert, sagt Birgit Rumpold, Lebensmitteltechnologin an der Technischen Universität Berlin. Die Novel-Food-Verordnung, die 1997 verabschiedet wurde, regelte zwar den Umgang mit neuartigen Nahrungsmitteln. Insekten tauchten darin allerdings nicht explizit auf, weil sie damals in Europa noch nicht als Lebensmittel wahrgenommen wurden. Auf dem deutschen Markt gab es demnach bisher allenfalls ganze Insekten, weil die rechtlich nicht erfasst waren. In Belgien und den Niederlanden waren dagegen bestimmte Arten auch in verarbeiteter Form für den Verkauf zugelassen.

Während also in anderen Ländern schon in Insektennahrung investiert wurde, steht die Branche in Deutschland noch in den Startlöchern: Das Osnabrücker Unternehmen Bugfoundation ist ein Vorreiter auf dem deutschen Markt. Sie haben den Bux-Burger entwickelt, in dem sogenannte Buffalowürmer als Mehl verarbeitet sind. „Es läuft gerade ziemlich gut“, sagt Baris Özel, einer der beiden Gründer von Bugfoundation. Produzieren müssten sie den Bux-Burger allerdings zurzeit noch in den Niederlanden, essen kann man ihn bislang in dortigen sowie in belgischen Restaurants. „Wir freuen uns, wenn am 1. Januar 2018 die neue Novel-Food-Verordnung gültig wird“, so Özel. Bis spätestens April sollen Bux-Burger, die etwa hälftig aus Würmern und Gemüsemasse bestehen, auch in Deutschland erhältlich sein. Den Geschmack gerösteter Buffalowürmer beschreibt Özel als nussig, ähnlich Sonnenblumenkernen. „Wir wollen Insektenessen alltäglich machen“, betont er.

Dass das möglich ist, zeigt die Schweiz: Dort sind seit vorigen Mai drei Insekten – Mehlwürmer (Larven des Mehlkäfers Tenebrio molitor), Wanderheuschrecken (Locusta migratoria) und Grillen (Acheta domesticus) – für den menschlichen Verzehr zugelassen. Die Schweizer Supermarktkette Coop stellte im August Burger und Bällchen aus Mehlwürmern in die Regale von sieben Märkten. „Wir sind zufrieden mit den Verkäufen und den vielen positiven Rückmeldungen auf das Geschmackserlebnis“, bilanziert Coop-Pressesprecher Ramón Gander. Mitte Dezember standen die Produkte schon in zwölf Märkten, und das Sortiment wächst: Inzwischen bietet das Unternehmen süßliche Energieriegel auf Basis von Grillen an. „Das wird sehr rege gekauft“, sagt Gander.

Den Erfolg von Insekten-Burgern erklärt sich Bugfoundation-Gründer Özel so: „Sie sehen wie normale Burger aus und riechen lecker, wenn man sie brät. Dann ist der Schritt nicht mehr weit, zu sagen: ‚Ach, ich probier mal.‘“ Auch die Kombination mit Schokolade oder anderen beliebten Zutaten sei eine Möglichkeit, Insekten schmackhaft zu machen, schlägt TU-Forscherin Rumpold vor. Der Gedanke, Insekten zu essen, sei vielen Menschen nicht mehr grundsätzlich zuwider. „Bei der langen Nacht der Wissenschaften an unserer Universität haben wir dieses Jahr Insekten zum Verkosten angeboten“, berichtet sie. „Viele Besucher sind bereit, zu probieren.“ Wichtig sei, positive Geschmackserlebnisse zu sammeln.

Aus ökologischer Sicht ist die Produktion von Insekten im Vergleich zu anderen tierischen Proteinquellen nach Angaben der FAO besonders effizient und ressourcenschonend: Insekten produzierten aus zwei Kilogramm Futter ein Kilogramm Insektenmasse. Zum Vergleich: Rinder brauchen 25 Kilogramm Futter für ein Kilogramm Rindfleisch. Außerdem können Bioabfälle zur Ernährung eingesetzt werden, sodass eine aufwendige Futterproduktion entfällt. Gleichzeitig fielen bei der Insektenproduktion weniger Treibhausgase an, es werde weniger Land und auch weniger Wasser benötigt.

Ein wichtiges Einsatzgebiet sieht die Lebensmitteltechnologin auch in der Futtermittelindustrie: „Da sind Insekten eine Riesenchance.“ Sie seien eine gute Alternative zu Proteinquellen wie Soja und Fischmehl. Bei der Produktion von Fischen in Aquakulturen sei Insektenmehl als Futter bereits in einigen Fällen erlaubt.

Forschungsbedarf sieht Rumpold beim Verarbeitungsprozess. Im Moment gebe es vorwiegend getrocknete Insekten und Insektenmehl wie in Burgern. Denkbar seien aber viel mehr Produkte: „Wie kann man Insekten verarbeiten, damit man zum Beispiel leckeres Insektenbrot oder andere proteinreiche insektenhaltige Produkte erhält? Und wie gewährleistet man die Haltbarkeit dieser Produkte?“ Noch stünden Haltung und Zucht von Mehlkäfern, Heuschrecken und Co. am Anfang der Entwicklung. „Da wird sich in den nächsten Jahren viel bewegen.“