Hamburg. Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) stellt in einer Grundsatzrede vor dem Übersee-Club die ehrgeizigen Ziele des Senats vor

Wird ein neuer Weg mit Überzeugung eingeschlagen, können frühere Entscheidungen kurios erscheinen. Noch 1913 lehnte die Hamburgische Bürgerschaft den Antrag des Senats auf Gründung einer Universität ab, was sie unter anderem mit dem Hinweis auf die „geniale Einseitigkeit Hamburgs als Kaufmannsstadt“ begründete. „Darauf muss man erst einmal kommen“, sagte Olaf Scholz (SPD) am Dienstagabend vor dem Übersee-Club in der Bucerius Law School und sorgte damit für Heiterkeit unter den etwa 350 Gästen. Inzwischen, fuhr der Bürgermeister fort, habe sich die historische bedingte Einseitigkeit der Hansestadt in eine „dem 21. Jahrhundert gemäße Vielseitigkeit“ verwandelt: „Hamburg hat heute einen hochmodernen Containerhafen und einen Hafen der Wissenschaft.“

Selbstverständlich ist das keineswegs München, Heidelberg, Tübingen oder Berlin – sie alle haben eine längere Tradition als Universitätsstädte. Auch Uni-Ausgründungen haben andernorts schon länger einen größeren Stellenwert. „Hamburg hat erst relativ spät verstanden, dass ein starker Wissenschaftsstandort für eine moderne, internationale Metropole kein schmückendes Beiwerk ist, sondern die Voraussetzung für Innovation, Wirtschaftswachstum und die Lösung globaler Herausforderungen“, sagte Scholz.

Auch er selbst wirkte zu Beginn seiner Amtszeit oft nicht so, als sei er Feuer und Flamme für die Wissenschaft. Doch seit 2016 schlägt der Bürgermeister andere Töne an. Vielfach beschrieb er inzwischen die seiner Ansicht nach herausragende Rolle der Wissenschaft für die Zukunft der Hansestadt, jedoch immer nur als Teil seiner Reden.

Bei seinem Auftritt vor dem Übersee-Club widmete Scholz nun erstmals eine Grundsatzrede diesem Thema – und formulierte ehrgeizige Ziele: Was Hamburg insbesondere auf dem Forschungscampus in Bahrenfeld mit der Universität und dem Deutschen Elek­tronen-Synchrotron (Desy) plane, werde die Stadt zwar noch 15 bis 20 Jahre beschäftigen. „Aber es wird Hamburg als großen deutschen Wissenschaftsstandort neben München-Garching und Berlin-Adlershof etablieren. Und es wird auch die Universität Hamburg auf ihrem Weg zur Exzellenz voranbringen.“ Auch international beansprucht Scholz für die Hansestadt mehr Geltung. Europa brauche „eine leistungs­fähige Wissenschaftsmetropole, die für die nördlichen Länder die Kräfte bündelt“, sagte der Bürgermeister. „Diese Rolle soll Hamburg spielen.“

Beifall von Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi

Dafür erhielt Scholz Beifall von Klaus von Dohnanyi (SPD). Der frühere Bürgermeister hatte 2014 mit Ex-Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) und dem ehemaligen Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (Grüne) die Streitschrift „In Sorge um Hamburg“ verfasst und einen überparteilichen Pakt für den Ausbau der Stadt zur Wissenschaftsmetropole gefordert. Seine Sorge um Hamburg sei „seither größer geworden“, bekannte von Dohnanyi vor Kurzem im Abendblatt. Hamburg sei von der Spitze der großen Universitätsstädte weit entfernt.

Olaf Scholz hielt bei seiner Rede dagegen, verwies etwa auf die jüngsten Erfolge der Universität Hamburg in der Zwischenrunde der Exzellenzstrategie des Bunds und der Länder.

Der Bürgermeister erläuterte auch, wie er sich das Verhältnis von Wissenschaft und Wirtschaft vorstellt. Marktreife Innovationen seien das Ergebnis einer langen Innovationskette, sagte Scholz. „Zu dieser Kette gehört die Grundlagenforschung, deren Erkenntnisse im Austausch mit der Wirtschaft interessant werden können, aber nicht müssen. Wichtig ist gleichwohl, dass Forschungsergebnisse schnell den Weg in innovative Unternehmen finden – oder, besser noch: dass Wissenschaft und Unternehmen zu bestimmten Fragen gleich unter einem Dach forschen.“

Solche Orte der Zusammenarbeit will Scholz ausbauen, um „eine er­hebliche Anzahl zukunftsorientierter Arbeitsplätze“ zu schaffen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die ersten Institute der Fraunhofer Gesellschaft und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Hamburg.

Ein „International Science Park“, der Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Firmen zusammenführt, soll auch auf dem Forschungscampus Bahrenfeld entstehen. Rund 160 Millionen Euro hat die Stadt schon in vier Neubauten auf dem Areal gesteckt. Der Campus und das Desy verfügten über „internationale Strahlkraft“, urteilte 2016 der Wissenschaftsrat in einem Gutachten über die MINT-Fächer (Mathe, Naturwissenschaften, Informatik, Technik) in Hamburg. Der Rat übte aber auch Kritik: Die Grundfinanzierung der Hamburger Hochschulen reiche nicht aus. Die Zuwendungen steigen bis 2020 lediglich um 0,88 Prozent pro Jahr – was die Gefahr birgt, dass dieser Zuwachs durch steigende Personalkosten und die Inflation aufgefressen wird. Weder sprach Scholz dies in seiner Rede an, noch sagte er, ob er eine Aufstockung der Grundfinanzierung plant.

Scholz will die Universität Hamburg stärken

Scholz sprach auch von einer „Stärkung der Universität Hamburg“. Was das konkret bedeutet, ließ er offen. Nicht näher erläuterte er zudem, wie die „Entwicklung der Geistes- und Sozialwissenschaften“ aussehen könnte, die künftig „im Fokus“ stünden. Exzellenz sei aber auch hier wichtig.

Die HafenCity Universität (HCU) erwähnte Scholz mit Blick auf deren Kooperation mit der US-Elite-Uni MIT, die er selbst angeregt hatte. Dass der Wissenschaftsrat in seinem Gutachten von „teilweise existenzbedrohenden Einbußen“ durch den Abbau von Professuren an der HCU gesprochen hatte und vor Kurzem ein Gremium um die Chefin der Berliner Humboldt-Universität feststellte, die HCU weise eine „im universitären Vergleich unzureichende Ausstattung mit wissenschaftlichen Mitarbeitern pro Professur auf“, erwähnte Scholz in seiner Rede nicht.

Der Wissenschaftsrat hatte 2016 auch einen „Sanierungsstau“ beim Hochschulbau in Hamburg bemängelt. Scholz verwies in seiner Rede unter anderem auf das 2012 eingeweihte Hauptgebäude der Technischen Universität Hamburg, den Neubau der HafenCity Universität und die geplanten Sanierungen des Philosophenturms und des Geomatikums der Uni Hamburg. „Das sind die umfangreichsten Neubau- und Sanierungsvorhaben seit Jahrzehnten“, sagte er.

„Ich fand es sehr beeindruckend, was Sie über das Bestehende erzählt haben“, sagte der Präsident des Übersee-Clubs, Michael Behrendt, und dankte Scholz. Uni-Chef Dieter Lenzen sagte nach der Rede, er sei „positiv gestimmt“. Es sei erfreulich, dass der Bürgermeister so viel Zeit auf das Thema Wissenschaft verwendet habe. Das sah auch Micha Teuscher so, der neue Präsident der Hochschule für Angewandte Wissenschaften. „Exzellenz muss her“, sagte Teuscher. Allerdings hätte der Bürgermeister die Bedeutung der Fachhochschulen mit ihrer breiten, praxisnahen Lehre stärker hervorheben dürfen, sagte Teuscher.