Mainz. Zahnfund löst Forscher-Streit aus: Ist der Ur-Rhein die Wiege der Menschheit?

Ein Streit ist um 9,7 Millionen Jahre alte Zähne aus dem rheinhessischen Eppelsheim entbrannt. Herbert Lutz vom Naturhistorischen Museum in Mainz, der die Forschungsarbeiten leitete, ordnet die Fossilien einem Menschenaffen zu. Sie zeigten sogar „verblüffende morphologische Ähnlichkeiten mit erdgeschichtlich jüngeren Vormenschen (Hominini) aus Afrika“. Paläoanthropologen im In- und Ausland halten diese Interpretation für falsch. Der Zahnfund hatte vergangene Woche viel Aufmerksamkeit bekommen.

Die Archäologen aus Mainz hatten einen spektakulären Fund angekündigt: Sie haben im Ur-Rhein zwei Zähne von Menschenaffen gefunden – und nun müsse die Geschichte der Menschheit möglicherweise überdacht werden. Ganz direkt sagen sie das nicht, aber der Fund sei „in Europa einmalig“, „unglaublich“, „singulär“ und „eigentlich zu schön, um wahr zu sein“.

Ausgegraben haben die Paläontologen die Zähne in den fast zehn Millionen Jahre alten Sand- und Kiesablagerungen des Ur-Rheins in Eppelsheim. Lange rätselten sie, dann waren sie sicher, dass sie einen Backen- und einen Eckzahn eines Menschenaffen in den Händen halten. Mehr noch: Die Zähne erinnerten sie an Vormenschen aus Afrika. Sie erwarteten „ein Staunen“ – und bekamen Kopfschütteln.

Ottmar Kullmer, Abteilungsleiter Paläoanthropologie beim Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt, meint, man solle sich die Forscher genauer anschauen. „Da ist kein Primatenspezialist und kein Zahnspezialist dabei.“ Tatsächlich gab Hauptautor Lutz zu: „Mein Forschungsgebiet sind eigentlich Insekten.“ Doch nun hätten er und das Team sich in das neue Thema eingearbeitet.

„Die Funde haben mit Menschen nichts zu tun, sie haben nicht einmal etwas mit Menschenaffen zu tun“, sagte der Paläontologe David Begun von der University of Toronto. Sowohl Begun als auch Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment sind sich sicher, dass einer der Zähne gar nicht von einem Affen stammt – sondern von einem Wiederkäuer, möglicherweise von einem Hirsch.

Hauptautor Lutz hält an seiner Interpretation fest. „Es passt einfach alles viel zu gut“, sagte er, fügt allerdings hinzu: „Wenn jemand anderweitige Beweise zeigt, dann sage ich: Okay, wir haben uns vergaloppiert. Irren ist menschlich.“