Berlin . Kein Fenster zum Hof, nie ein Sonnenstrahl in Sicht: Immer mehr Menschen verbringen einen Großteil ihres Lebens unter künstlichem Licht. Das kann den Schlaf beeinflussen - und den Verlauf der Heilung auf der Intensivstation. Deshalb beschäftigen sich Ärzte und Arbeitsschützer jetzt mit der richtigen Beleuchtung bei der Arbeit und am Krankenbett.

Wer in einer Shoppingmall oder in einer großen Industriehalle arbeitet, hat ein ähnliches Problem wie Schichtarbeiter, die ihre Nacht zum Tag machen. Und wie Patienten im Krankenhaus, die wochen- und monatelang auf einer Intensivstation liegen müssen. Sie alle leben lange unter künstlicher Beleuchtung. Wie diese unseren Körper beeinflusst, damit beschäftigen sich derzeit Studien und Projekte von Ärzten und Arbeitsschützern. Wenn wir den Tag-Nacht-Rhythmus nicht live erleben können, gibt es inzwischen biodynamisches Licht, das versucht, ihn zu imitieren. Dabei sind die richtige Dosierung sowie die passende Lichtfarbe enorm wichtig, aber nicht leicht zu finden. „Das falsche Licht zur falschen Zeit kann Müdigkeit am Tag oder Schlafstörungen in der Nacht und das damit einhergehende Unfallrisiko verstärken“, sagt Angela Janowitz. Sie ist stellvertretende Leiterin der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN), in der die Institutionen zusammengeschlossen sind, die sich in Deutschland für den Arbeitsschutz einsetzen. Ein Beispiel ist das blaue Licht des Smartphones, das beim Checken der Nachrichten in den Abendstunden dem Körper möglicherweise zur Unzeit signalisiert, er könne wieder munter werden.

Angela Janowitz: „Jedes Licht ist biologisch wirksam. Licht hat für das Sehen, aber auch als Taktgeber für unseren Tag-Nacht-Rhythmus eine zentrale Bedeutung. Besondere Zellen im Auge verarbeiten das Licht und regeln im Körper die Produktion von Hormonen. Das Hormon Melatonin macht uns beispielsweise müde und senkt die Aktivität. Dadurch wird auch das Wohlbefinden wird vom Licht beeinflusst.“ Wer wüsste das besser als Professorin Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an den Campi Charité Mitte und Virchow-Klinikum in Berlin. Sie leitet das Forschungsprojekt „Parametrische (T)Raumgestaltung“ in enger Zusammenarbeit mit dem Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrum der Charité und untersucht mit ihrem Team, wie Patienten auf der Intensivstation auf biodynamisches Licht reagieren. Dafür wurden Prototypen von besonderen Räumen im Virchow-Klinikums in Berlin eingerichtet – gemeinsam mit dem internationalen Architekturbüro Graft, das sonst schicke Wohnräume gestaltet. „Uns geht es vor allem darum, die häufigste Organfunktionsstörung – das Delir – zu verhindern. Dadurch erleiden bis zu ein Viertel der Patienten auf Intensivstationen Bewusstseins- oder Wahrnehmungsstörungen. Das ist eine Bedrohung für Patienten nach einem Herzinfarkt, einer Lungenembolie oder einer Sepsis (Blutvergiftung). Denn das Gehirn ist ein empfindliches Organ und reagiert auf seine Umgebung“, sagt die Expertin.

Vor vier Jahren startete der Versuch an der Charité, jetzt geht er in Endphase mit letzten Analysen. „Zusammen mit Mediendesignern der Firma Art&Com haben wir an der Decke Lagen mit LED-Birnen und Schnittstellen so entwickelt, dass die Beleuchtung nicht zu grell wird und man in einem bestimmten Winkel gut hineinschauen kann“, sagt Prof. Spies. Denn nur auf diese Weise kann nach ihren Worten die Wirkung des schlaffördernden Melatonins tagsüber unterdrückt werden, damit sich diese nachts umso besser entfalten kann. „Geschieht dies nicht, dann sehen wir bei unseren Messungen, dass die Patienten zwar viel schlafen, aber nicht tief und erholsam genug“, sagt Claudia Spies. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Farbwechsel der Lichtdecken, dessen Schwellenwerte zusammen mit Physikern der Technischen Universität Berlin festgelegt wurden. Dadurch können die multimodalen LED-Lagen auch bei Räumen im Keller den Eindruck eines Wechsels von Tag zu Nacht erwecken. „Außerdem sind wir in der Lage ein grünes Blätterdach auf die Lichtdecke zu projizieren oder die Patienten zu Glühwurmspielchen zu animieren. Wir sehen, dass unsere Patienten durch das Grün der Blätter weniger Angst entwickeln und nicht so viele Schmerzmittel benötigen. Die Spiele hingegen regen das Gehirn an, aktiv zu werden“, zitiert Prof. Spies Patienten, die darüber berichten. Sie hofft, dass sich die Ergebnisse in einer Studie bestätigen werden, die Anfang nächsten Jahres komplett vorliegen wird. 80 Patienten wurden seit 2014 beobachtet und soviel kann die Wissenschaftlerin jetzt schon sagen: „Die Methode funktioniert, das heißt das Licht ist ausreichend, um Melatonin tagsüber zu unterdrücken. Ob die Patienten wirklich besser schlafen und sich besser erholen, muss die Studie zeigen.“ Gerade ältere Patienten berichten, laut Prof. Spies, dass sie sich besser orientieren können. Offensichtlich bekommt ihre „innere Uhr“ den Eindruck des vertrauten Tag-Nacht-Wechsels (circadianer Rhythmus genannt).

Die Arbeitsschützer beschäftigen sich unterdessen damit, ob Richtlinien zum Umgang mit biologisch wirksamer Beleuchtung am Arbeitsplatz notwendig sind. Dr. Anna Dammann, Referentin bei der KAN erklärt: „Zahlreiche Studien behandeln derzeit die nicht-visuellen Wirkungen künstlicher Beleuchtung, die Ergebnisse sind jedoch teilweise widersprüchlich und schlecht vergleichbar. Deshalb ist eine intensive Recherche der derzeitigen Studienlage notwendig. Dabei fließen Expertisen aus den Bereichen Chronobiologie, Arbeitsmedizin und Lichttechnik ein.“ Es gehe zunächst darum, Grundlagen zu schaffen. Vor diesem Hintergrund befassen sich verschiedene Kreise mit dem Thema künstliche Beleuchtung: Der staatliche Ausschuss für Arbeitsstätten und das Sachgebiet Beleuchtung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) setzen sich parallel damit auseinander, ob und wie sie dazu informieren können. Angela Janowitz: „Das Ziel aller Beteiligten muss der verantwortungsvolle, gesundheitserhaltende Einsatz der neuen Technologie sein.“