Wuppertal/Malargüe. Die Schutzbemühungen lassen die Bestände der Tiere vielerorts wieder steigen, so eine Studie. Doch viele Arten sind noch immer bedroht

Es ist fünf Uhr früh und sehr dunkel am Strand bei Ras al-Dschins im Oman. Nur eine Taschenlampe leuchtet. Der Lichtkegel fällt hinter eine Grüne Meeresschildkröte, die ein Ei nach dem anderen in ihre gerade gegrabene Kuhle purzeln lässt. Ihre Schalen sind weich, wie kleine, glänzende Tischtennisbälle liegen schließlich mehrere Dutzend Eier im Nest. Dann scharrt die Schildkröte Sand in die Kuhle und begibt sich auf den mühsamen Weg zurück zum Meer.

Im Schutzreservat Ras al-Dschins bauen Tausende Grüne Meeresschildkröten (Chelonia mydas) auf 45 Kilometern Küstenlänge ihre Nester. Dennoch, den Tieren drohen nach wie vor Gefahren: Am Morgen fährt ein Motorboot vor der Küste hin und her, die Männer scheinen Ausschau zu halten nach den Weibchen des auch Suppenschildkröte genannten Tieres. Am Strand graben Füchse nach den Eiern. Und Vögel fressen gerne die etwa handtellergroßen Schildkrötenbabys, die nach zwei Monaten schlüpfen und zum Meer wandern. Dort droht ihnen auf den langen Wanderungen die größte Gefahr: Fischernetze und Haken von Langleinen. Hinzu kommt Plastikmüll.

Dennoch zeigt nun eine im Journal „Science Advances“ veröffentlichte Studie Erfolge vieler jahrzehntelanger Schutzbemühungen in der Welt. Die Forscher um Antonios Mazaris von der Universität Thessaloniki in Griechenland haben Daten zu allen sieben Arten der Meeresschildkröten analysiert. Ergebnis: Die Zahl der Schildkröten steigt in vielen Gebieten.

Das Team wertete für 299 Populationen jährliche Abschätzungen der Nester über Zeiträume von sechs bis 47 Jahren aus. Bei 95 Populationen stieg die Zahl der Tiere deutlich, bei 35 sank sie – ebenfalls deutlich. Beim Rest blieb sie in etwa gleich. Exakte Zahlen nennen die Forscher nicht.

Artensterben gestoppt, doch die Populationen schrumpfen

„Das sind gute Neuigkeiten“, sagt Meeresschildkröten-Experte Roderic Mast von der Weltnaturschutzunion IUCN. Diese sehe einen ähnlichen Trend. Noch stehen sechs der sieben Meeresschildkröten-Arten als gefährdet, stark gefährdet oder vom Aussterben bedroht auf der Roten Liste der IUCN. Für die siebte Art, die Wallriffschildkröte (Natator depressus), gibt es laut IUCN nicht genügend Daten zur Einstufung. Es sei zwar positiv, dass man das Artensterben stoppen könne, aber niederschmetternd, dass viele der untersuchten Populationen weiterhin kleiner würden, sagt der WWF-Referent für Seafood Zertifizierung, Philipp Kanstinger.

Die bei weitem größte Bedrohung für die Meeresschildkröten ist auch nach Ansicht des IUCN-Experten Mast der Beifang. Einige hunderttausend Schildkröten verenden demnach pro Jahr an Haken der oft über 100 Kilometer langen Langleinen. Andere werden in Fisch- und Shrimpsnetzen gefangen, in denen sie ersticken. Mehr und mehr Fischer ersetzen jedoch die J-förmigen Haken an den Langleinen durch Rundhaken, in die Schildkröten nicht richtig beißen können. Das reduziert nach WWF-Angaben die Todesrate durch Langleinen um 90 Prozent.

Die zweitwichtigste Bedrohung ist Mast zufolge der weiterhin in vielen Regionen existierende direkte Fang von Schildkröten und das Sammeln der Eier. Auf Nummer drei sieht der Experte die Verschmutzung der Meere, insbesondere durch Plastik. So steige die Zahl der entdeckten Schildkröten mit Plastikteilen im Magen, die auch zum Tod führen könnten. Als vierte Bedrohung nennt er den Verlust der Lebensräume. Hell erleuchtete Hotels an Stränden halten die Schildkröten-Weibchen vom Eierlegen ab und irritieren die frisch geschlüpften Babys mit ihren Lichtern, so dass sie den Weg zum lebenswichtigen Meer nicht finden.

Gleich mehrfach schädige zudem der Klimawandel die Reptilien, sagt Mast. Sturmfluten und der steigende Meeresspiegel könnten Brutgebiete am Strand vernichten. Und je höher die Sandtemperatur, desto mehr Tiere entwickelten sich in den Eiern zu Weibchen. Was die Änderung im Geschlechterverhältnis letztlich bewirke, sei noch unklar. Wenn die Temperatur weiter steige, könnten die noch nicht geschlüpften Tiere in den Nestern sogar sterben. In Malaysia sei der Temperatureinfluss auf andere Weise eindrücklich belegt: Dort seien Kokospalmen an einem Schildkrötenstrand gefällt worden. Ohne Schatten sei es zu heiß für den Schildkrötennachwuchs.

Da der Erfolg vor allem auf direkte Schutzbemühungen wie Reservate zurückgehe, seien weitere Anstrengungen wichtig, betont Mast. Das Verhalten eines jeden Menschen müsse sich ändern, nicht nur das von Regierungen und Industrie. „Geben Sie den Strohhalm aus dem Glas zurück, den Sie im Restaurant erhalten.“ Auch Plastikflaschen seien „schlecht für die Schildkröten, schlecht für den Ozean und ebenso schlecht für uns Menschen“.

Mit TTIP wäre die Schildkröte besser geschützt

Unter den Staaten gebe es Vorreiter beim Schutz der Meerestiere, sagt WWF-Experte Kanstinger. Shrimps dürften zum Beispiel in den USA nur noch gefangen werden, wenn dies keine Schildkröten gefährde. So gebe es etwa schildkrötenfreundliche Netze mit einer Art Klapptür, durch die gefangene Tiere nach oben entweichen können. Wenn das Handelsabkommen TTIP gekommen wäre, hätte es die Europäische Union vermutlich zu besserem Schutz von Meerestieren gezwungen, wie er in den USA lange üblich sei, meint Kanstinger.

Trotz des positiven Trends in vielen Regionen gebe es noch viel zu tun im Naturschutz, schreibt das Team um Mazaris. Die Zahl der Lederschildkröten (Dermochyles coriacea) etwa sinke im Ost- wie im Westpazifik. „Unsere Ergebnisse heben die Bedeutung eines kontinuierlichen Schutzes und der Bemühungen zur Bestandsaufnahme hervor, die dieser Erfolgsgeschichte des globalen Naturschutzes zugrunde liegen“, schließen die Forscher.