Washington D.C. Verletzliche Mädchen, starke Jungen – internationaler Mythos, sagen Forscher

Kinder an der Schwelle zur Pubertät haben meist schon ein sehr ausgeprägtes Rollenbild der Geschlechter – unabhängig davon, ob sie in armen oder reichen, liberalen oder konservativen Gesellschaften aufwachsen. Das geht aus einer internationalen, im „Journal of Adolescent Health“ veröffentlichten Studie hervor.

„Wir haben herausgefunden, dass schon sehr junge Kinder sehr schnell den Mythos verinnerlichen, dass Mädchen verletzlich und Jungs stark und unabhängig sind“, sagte Studienleiter Robert Blum. „Dieser Mythos wird von allen Seiten unaufhörlich bekräftigt.“ Versuchten Kinder daraus auszubrechen, drohten vor allem Jungen negative Konsequenzen: Mobbing, Einschüchterung, körperliche Angriffe.

Die Forscher warnen davor, dass die „Zwangsjacke der Geschlechterrollen“ Gesundheitsrisiken für beide Geschlechter berge, besonders für Mädchen. Für sie gebe es viele Regeln in Bezug auf ihren Körper, die ihrem Schutz dienen sollen. Allerdings verlange dies unterwürfiges Verhalten. Gewalt sei ein akzeptiertes Mittel, um Regelbrüche zu verhindern. Das mache es wahrscheinlicher, dass Mädchen Opfer von körperlicher und sexueller Gewalt werden. Jungs werden den Angaben zufolge eher ermutigt, die Welt außerhalb des Hauses zu erkunden. Im Allgemeinen verbringen sie mehr Zeit mit selbst gewählten Hobbys und üben untereinander dominante Verhaltensweisen. Allerdings mache das Jungen anfälliger für risikoreiches Verhalten. Sie werden eher drogensüchtig und sterben eher bei einem Unfall.

Die Forscher hatten in 15 Ländern rund um den Globus 450 Kinder zwischen zehn und 14 Jahren und ihre Eltern befragt, darunter Belgien, China, Ecuador, Ägypten, Indien und USA. In Deutschland fanden keine Befragungen statt. „In der Tendenz steht es um Deutschland nicht anders als um andere westliche Länder“, meint Tim Rohrmann, Professor für Entwicklung im Kindesalter an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden. Er betont aber, dass Mädchen hierzulande in der Schule nicht benachteiligt würden, sie überholten die Jungen sogar mit besseren Noten und höheren Abschlüssen. Die Berufswahl aber bleibe oft geschlechtstypisch. Für Rohrmann zeige die aktuelle Studie eindeutig, „dass die Vorstellung von traditionellen Geschlechterrollen sich über alle Kulturen hinweg mehr ähneln als unterscheiden“.