Hamburg. Physiker Karsten Danzmann erhält den Körber-Preis für seine Arbeit zum Nachweis von Einsteins Gravitationswellen

Die Jahrhundert-Entdeckung kündigt sich zuerst in Hannover an, mit einem lauten Piepen, kurz vor der Mittagspause. Am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik stehen an diesem 14. September 2015 zwei Nachwuchsforscher vor einem Monitor. Der Computer, verbunden mit dem Observatorium LIGO in den USA, meldet: Beide Detektoren der Anlage im Norden und Süden der Vereinten Staaten haben das gleiche Signal verzeichnet.

Die amerikanischen Kollegen schlafen um diese Zeit noch. Ein Anruf beim Nachtwächter: Nein, es gab keinen Test. Auf eine Störung deutet auch nichts hin. Kann es wirklich das sein, worauf sie hoffen?

Auch Karsten Danzmann, Chef des Hannoveraner Instituts, bleibt skeptisch. Mehr als 20 Jahre lang wartet er nun schon auf den Nachweis. Der Physiker und sein Team haben das Herzstück der Messanlage in den USA entwickelt, ein hochpräzises Lasersystem. Jetzt bloß vorsichtig sein: Kurz zuvor hatten sich andere Forscher blamiert; ihre „Entdeckung“ entpuppte sich als kosmischer Staub.

Es vergehen fast fünf Monate, in denen 1004 an der LIGO-Kollaboration beteiligte Forscher, darunter 120 Physiker um Karsten Danzmann aus Hannover, analysieren und diskutieren, bis sie sich sicher sind – und im Februar 2016 bekannt geben: Wir haben Gravitationswellen nachgewiesen. Jene winzigen, sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitenden Krümmungen in der Raumzeit, die Albert Einstein 1916 als Konsequenz aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhersagte.

Der Physik-Nobelpreis ist den Entdeckern bisher zwar verwehrt geblieben, Karsten Danzmann allerdings freut sich derweil über eine andere renommierte Auszeichnung: Gestern hat der 62-Jährige im Hamburger Rathaus vor 600 geladenen Gästen den mit 750.000 Euro dotierten Körber-Preis für die Europäische Wissenschaft erhalten.

„Dank Ihrer Forschung, Herr Professor Danzmann, kann nun ein neues Fenster zum Kosmos aufgestoßen werden“, sagte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) bei dem Festakt. Er würdigte die Ausdauer des Physikers, der sich in Hamburg als Mitglied der Akademie der Wissenschaften in der Arbeitsgruppe „Neue Herausforderungen der Kosmologie“ engagiert. „Wir in Hamburg sind gespannt auf das, was im Zuge Ihrer Forschung noch zutage treten wird“, sagte Olaf Scholz.

Bis zum Nachweis von Gravitationswellen konnten Forscher Signale aus dem Universum nur im Spektrum elektromagnetischer Strahlung empfangen, also in Form von sichtbarem Licht, Infrarotlicht, Mikrowellen und Radiowellen, sowie durch Wasserstoffkerne und Neutrinos, beinahe masselosen Teilchen. Allerdings bestehen nur etwa vier Prozent des Universums aus Materie, wie wir sie kennen, und von dieser Materie strahlt nur ein kleiner Teil.

„Aber alles in unserem Universum unterliegt der Schwerkraft. Und alles, was der Schwerkraft, der Gravitation unterliegt und sich bewegt, muss Gravitationswellen aussenden“, erläutert Karsten Danzmann. „Das heißt, wir können auf diese Weise die dunkle Seite des Universums hören.“

Das 2015 verzeichnete kosmische Signal stammt den LIGO-Forschern zufolge von zwei außergewöhnlich schweren Schwarzen Löchern, die miteinander verschmolzen sind – in einer Galaxie, die 1,3 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Es war laut Danzmann das gewaltigste Ereignis, das je beobachtet wurde. Zwei weitere Ereignisse dieser Art haben die Forscher inzwischen nachgewiesen.

Von Gravitationswellen erhoffen sich Forscher auch Erkenntnisse über die Entstehung von Galaxien sowie über die geheimnisvolle Dunkle Materie, die Galaxien wie ein Kitt zusammenhält und sich nur durch ihre gravitative Wirkung zu erkennen gibt, und über die Dunkle Energie, die dafür sorgt, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt.

Danzmann interessiert sich für die Zeit nach dem Urknall

Karsten Danzmann träumt davon, mit Gravitationswellen-Detektoren mehr über die Zeit direkt nach dem Urknall zu erfahren. Denn erst 380.000 Jahre nach dem Urknall war das Universum durchlässig für elektromagnetische Strahlung – von Anfang an hingegen konnten wohl Gravitationswellen den Kosmos durchqueren.

Einsteins Theorie sieht vor, dass jeder beschleunigte Körper Gravitationswellen aussendet, die umso stärker sind, je mehr Masse der Körper hat, und je schneller er sich bewegt. Diese Signale sind allerdings äußerst schwer zu messen. Die dafür von Danzmann und seinem Team mitentwickelten Anlagen des LIGO-Observatoriums bestehen jeweils aus zwei vier Kilometer langen, geraden Röhren, die im rechten Winkel zueinander angeordnet sind. Im Inneren vermessen Laser kontinuierlich die Längen der Röhren. Treffen Gravitationswellen die Anlage, quetschen und dehnen sie die „Arme“ – um unfassbar winzige Längen: Die Änderungen sind tausend Mal kleiner als der Durchmesser eines Atomkerns. Detektoren zeichnen das auf.

Es geht aber noch erheblich präziser, glaubt Karsten Danzmann. Mit den Mitteln des Körber-Preises will er unter anderem die Lasertechnik für Detektoren auf der Erde verfeinern. Parallel arbeiten er und sein Team bei einem Projekt mit, das zum Ziel hat, gegen 2030 das Gravitationswellen-Observatorium LISA ins All zu schicken. Es soll Signale empfangen, die Systeme auf der Erde nicht erfassen können.

Bereits beschlossen ist eine Mission, die sehr viel früher startet: 2018 werden Satelliten ins All geschossen, die mit der gleichen Lasertechnik ausgestattet sind, die Danzmann und sein Team zur Messung von Gravitationswellen konstruiert haben. Allerdings sollen die Satelliten das Schwerefeld der Erde und den globalen Wasserhaushalt messen, um herauszufinden, wie dieser sich im Zuge des Klimawandels verändert.