Brighton. Britische Ärzte raten, Medikamente abzusetzen, wenn man sich besser fühlt. Deutsche Experten sind entsetzt

Wer Antibiotika nimmt, muss die Packung komplett leeren, um die Entstehung von Resistenzen zu verhindern – diese Empfehlung hat jeder schon einmal gehört. Eine veraltete und riskante Ansicht, urteilt ein Team britischer Mediziner um den Infektiologen Martin Llewelyn von der Brighton and Sussex Medical School im „British Medical Journal“. Das Risiko für Resistenzen würde vielmehr durch zu lange Medikamentengabe steigen. Es könne sinnvoller sein, wenn Patienten die Einnahme beenden, wenn sie sich besser fühlten. Deutsche Experten sind entsetzt.

Dass einige Krankheitserreger kaum oder gar nicht auf bestimmte Medikamente reagieren, ist normal. Problematisch wird es, wenn sich diese Keime vermehren. Schluckt ein Patient Antibiotika, werden die meisten Keime abgetötet, während die resistenten übrig bleiben und sich ausbreiten. Lösen sie eine Infektion aus, lässt diese sich kaum behandeln. Allein in der EU sterben deshalb nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich 25.000 Menschen. Die zu häufige Gabe der Mittel – bei Mensch und Tier – ist ein Grund für die Ausbreitung des Problems.

„Dass eine zu kurze Einnahme von Antibiotika diesen Prozess fördert, ist allerdings nicht belegt“, sagt Professor Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie und Mitglied der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Hier hätten die britischen Autoren recht. Deshalb zu raten, die Medikamente früher abzusetzen, sei hingegen fatal und gefährlich. „Wenn das Antibiotikum zu früh abgesetzt wird und die Krankheitserreger noch nicht vollständig beseitigt sind, kann es zu einer Verschlimmerung der Infektion und gefährlichen Komplikationen kommen.“ Zwar führen die britischen Autoren Beispiele auf, in denen sich eine kürzere Einnahmedauer von Antibiotika als sinnvoll erwiesen hat, dabei handele es sich aber um spezielle Fälle, erklärt Smollich. Eine pauschale Empfehlung ließe sich daraus nicht ableiten. „Die Empfehlung der WHO lautet deshalb: ,Antibiotika sollten eingenommen werden, wie vom Arzt verordnet‘“, sagt Smollich – und nicht: Die Packung sollte komplett verbraucht werden.

Generell sei die optimale Einnahmedauer für verschiedene Krankheiten bislang kaum untersucht, so Smollich. Bei zu kurzer Behandlung bestehe generell das Risiko einer Neuinfektion, bei zu langer Behandlung könnten Organe belastet werden. Das Risiko der Neuinfektion sei aber als größer bewertet worden, die Einnahmedauer oft vorsichtshalber zu lang als zu kurz angesetzt. „Die längere Einnahme fördert aber eben auch die Entstehung von Resistenzen“, so Smollich, „ob sich das Problem durch andere Einnahmeperioden ändern lässt, muss künftig untersucht werden“. Aber das könne nur auf wissenschaftlicher Basis geschehen und keinesfalls durch Eigeninitiative von Patienten.