Pozzuoli/Neapel. Experten warnen vor einem Ausbruch der Phlegräischen Felder. Eine Eruption hätte verheerende Folgen für die Region

Es ist so laut und stickig wie im Maschinenraum einer Fabrik. Roberto Isaia macht Fotos von einem grauen, schlickigen Tümpel direkt vor seinen Füßen, in dem es unaufhörlich blubbert. Der Wind dreht. Der Geologe verschwindet an dem ohnehin heißen Tag ein paar Sekunden in der warmen Rauchsäule, die aus dem Vulkanfeld aufsteigt. Es riecht nach faulen Eiern, der Wasserdampf ist mit Schwefel und anderen Gasen versetzt.

In Pisciarelli, auf dem Weg von Neapel in die Küstenstadt Pozzuoli, wird greifbar, dass da etwas Gigantisches schlummert in den Tiefen der Erde. Anders als der Vesuv auf der anderen Seite der Großstadt am Golf, der als wohlgeformter Berg mit Krater der „Classico“ unter den Vulkanen ist, sind die Phlegräischen Felder (Campi Flegrei, auf Deutsch: brennende Felder) unscheinbar. Das Gebiet, auf dem sie sich erstrecken, ist vergleichsweise flach und wirkt alles andere als bedrohlich. Erst Satellitenbilder machen die zahlreichen und zum Teil überlappenden Explosionskrater deutlich.

Das etwa 150 Quadratkilometer große Areal hat eine hohe vulkanische Aktivität – und bereitet Forschern derzeit mehr Sorgen als sein allzeit präsenter Nachbar Vesuv, dessen historischer Ausbruch im Jahr 79 n. Chr. die Städte Pompeji und Herculaneum unter einer dicken Schicht aus Asche und Gestein begrub.

Seit einer Studie des University College London (UCL) steht das Vulkanfeld als Hochsicherheitsrisiko mit Folgen für ganz Europa wieder im Blickfeld der Öffentlichkeit. „Eine Eruption der Phlegräischen Felder könnte näher sein, als gedacht“, heißt es. „Europas Supervulkan rumort“, titeln Zeitungen. Ist ein schlafender Riese aufgewacht?

24-Stunden-Überwachung der Problemkinder Neapels

Im Observatorium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanologie in Neapel überwachen Isaia und seine Kollegen die Phlegräischen Felder 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Und nicht nur der Supervulkan interessiert die Wissenschaftler – auch die anderen Problemkinder des Golfs von Neapel werden beobachtet: der Vesuv und die Vulkaninsel Ischia.

Wo alle Signale der einzelnen Messstationen zusammenlaufen, sieht es aus wie in einer Kommandozentrale: Alleine an einer Seite des Raumes sind 48 Bildschirme angebracht, die verschiedenste Graphen zeigen. Was für Laien kaum zu interpretieren ist, kann das Leben Hunderttausender Menschen retten. Hier werden Parameter visualisiert, die Aufschluss über die vulkanischen Systeme und ihre Veränderungen geben. Wie warm ist der Boden? Wie stark hebt und senkt sich die Erdoberfläche aufgrund der vulkanischen Aktivität? Aus welchen Gasen setzen sich die Rauchsäulen in Pisciarelli zusammen?

Die Aktivität der Phlegräischen Felder ist zuletzt wieder gestiegen. Der Druck im Untergrund steigt. 2012 wurde die Alarmstufe auf Gelb angehoben – erhöhte Wachsamkeit. Denn nachdem es in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt ein starkes Auf und Ab begleitet von spürbaren Beben im Gebiet der Phlegräischen Feldern gab, steigt die Kurve seit einigen Jahren wieder nach oben. Die Erde wölbt sich auf. „Der Trend ist klar erkennbar“, sagt Isaia. Vor vier Jahrzehnten stieg das Niveau des Bodens innerhalb von drei Jahren um 1,5 Meter an, Anfang der 80er-Jahre gab es eine ähnliche Krise. Forscher sagen, eine derartige Situation ging dem Ausbruch im Jahr 1538 voraus.

„Das Problem ist, dass man die Eruption nicht vorhersagen kann“, sagt Thomas Walter vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam, der den Vulkan selbst intensiv erforscht. Warum es etwa die Schwankungen der intervallartigen Hebungen und Senkungen gebe, wisse man noch nicht genau. „Die Anzeichen sind schon alarmierend. Aber es gab auch starke Hebungen ohne Ausbrüche. Wie zuletzt 1983, als sich der Boden gar um über zwei Meter aufwölbte – ganz ohne Ausbruch. Von derartigen Hebungsraten sind wir derzeit noch weit entfernt“, sagt Walter.

Unklarheit herrscht auch über den Grund der Bodenhebungen. „Eine Fraktion sagt: Grund dafür ist die Akkumulation neuen Magmas, also der Gesteinsschmelze, in der Tiefe“, sagt Walter. „Die andere sagt, vielmehr seien hydrothermale Gase dafür verantwortlich, die vor der Magmakammer frei werden und sich in Untergrundreservoiren ansammeln.“ Von einem Tiefbohrprojekt, das Messinstrumente näher an das Geheimnis bis drei Kilometer unter die Oberfläche heranbringen würde, hält die Bevölkerung in dem Risikogebiet nichts. Die Angst ist groß, dass der Riese aufgeweckt wird. Walter beruhigt. Keine Region der Welt sei so gut überwacht wie die um Neapel. „An den Vulkanen, die gemonitort werden, lassen sich Eruptionen gut vorhersagen.“

Verdichten sich Hinweise auf einen Ausbruch der Phlegräischen Felder, müssten gut 80.000 Menschen in Sicherheit gebracht werden. „Wenn der Supervulkan ausbricht, dann solltest du nicht da sein“, konstatiert Isaia. Doch allein die Festlegung der dreistufigen Sicherheitszonen ist ein Politikum. Und: Wann ist eigentlich der Moment gekommen, die Menschen in Sicherheit zu bringen? In der Krise in den 80er-Jahren wurden 20.000 Menschen umgesiedelt, weil es schien, dass ein Ausbruch kurz bevorstand. So kam es aber nicht.

Dem Geologen Isaia ist es wichtig, klarzumachen: Die Phlegräischen Felder sind keine abstrakte Gefahr, die Gefahr ist real. Er zeigt erneut ein Satellitenbild, bis auf kleine grüne Flecken und das Gebiet des Vesuvs ist die Karte übersät mit Gebäuden. Die Phlegräischen Felder liegen nicht außerhalb von Neapel – die Großstadt steckt vielmehr mittendrin. Als er seinen Wagen durch den zähen Großstadtverkehr steuert, sagt er: „Wir fahren gerade mitten im Vulkan, können Sie sich das vorstellen?“

Das berühmte Fußballstadion des SSC Napoli, San Paolo, zieht vorbei, auch das ist auf dem Vulkan gebaut. Derzeit ist niemand in der Lage, einen Ausbruch vorherzusehen. „Was wir tun können, ist, den Vulkan zu überwachen“, sagt Isaia. „Wir stecken in einem Schlamassel. Und das ist größer als sonst irgendwo auf der Welt.“ (dpa)