Berlin. Millionen von Tieren müssen jedes Jahr für vermeintliche Medikamente ihr Leben lassen. Was steckt hinter dem Aberglauben?

Die Wilderer kommen im Jeep mit Schnellfeuerwaffen und Nachtsichtgeräten. Die Männer töten ein Nashornweibchen und ihr Junges, hacken mit brachialer Gewalt ihre Hörner ab und sind auch schon wieder weg – eine Sache von wenigen Minuten. In den Ländern des südlichen Afrikas werden Dickhäuter in furchterregendem Tempo erlegt: Mehr als 1200 Nashörner fallen den Wilderern jährlich zum Opfer. Im Schnitt sterben drei der Tiere pro Tag auf diese Weise. Bei Elefanten wirken die Zahlen noch dramatischer, aber von ihnen gibt es noch wesentlich mehr. 20.000 lassen ihr Leben jedes Jahr, weil ihre Stoßzähne begehrt sind. Alle 25 Minuten wird einer geschossen.

Wildhüter und Touristen entdecken die Kadaver mit den klaffenden blutigen Löchern im Gesicht später in den Nationalparks, Tropenwäldern, auf Privatfarmen. Es sind erschütternde Anblicke. Die Tierschutzorganisation „International Fund for Animal Welfare“ befürchtet, dass Nashörner kurz vor der Ausrottung stehen. Arnulf Köhncke, Artenschutzexperte der Umweltschutzorganisation WWF, bezeichnet die Situation zum heutigen Tag des Artenschutzes als hochdramatisch: „Es werden mehr Tiere getötet als geboren. Geht es so weiter, werden wir Elefanten und Nashörner nur noch in kleinen, streng überwachten Schutzgebieten sehen können – oder im Zoo.“

Grund für die seit gut zehn Jahren andauernde Wilderei-Krise ist die große Nachfrage der Bevölkerung in Südost- und Ostasien. Noch immer glaubt sie an heilende, potenzsteigernde oder aphrodisierende Wirkung von Tierteilen. Präparate aus Stärke verkörpernden oder seltenen Tierarten sind besonders begehrt. Getrocknet oder pulverisiert wird alles, vom Seepferdchen bis zum Horn des Nashorns.

Seltene Wildtiere als Potenz-und Heilmittel begehrt

Elfenbein hingegen gilt als Statussymbol für Reichtum und den sozialen Aufstieg. Auslöser für den wiedererwachten Hunger nach dem „weißen Gold“ und den vermeintlichen Wundermitteln sei die aufstrebende Mittelschicht in Südost- und Ostasien, so könnten sich immer mehr Menschen die „Luxusgüter“ leisten, sagt Prof. Paul Ulrich Unschuld, Sinologe und Medizinhistoriker der Charité-Universitätsmedizin Berlin.

Vor allem in die vermeintlichen Gesundheitspülverchen stecken gut betuchte Asiaten Millionen, sagt Unschuld. „Gesundheit ist für sie das wertvollste Gut – da schafft man sich alles an, um sich im Falle des Falles bedienen zu können.“ Noch immer gilt in Fernost beispielsweise der Irrglaube, pulverisiertes Nashornhorn lindere Schmerzen und Fieber und sei sogar ein wirksames Mittel gegen Krebs. Das Horn des Rhinozerosses ist inzwischen so viel wert wie Kokain und teurer als Gold. Neuerdings soll das Horn-Pulver sogar dem Alkohol-Kater vorbeugen.

Gern wird der Stirnauswuchs den Geschäftspartnern als besondere Gabe überreicht oder als Pulver bei Schickimickipartys in Drinks gemixt. Dabei besteht das Horn aus Keratin, einem Faserstoff, und ist medizinisch völlig unwirksam: „Da könnte man genauso an seinen Fingernägeln kauen“, so Unschuld. Und immer wieder gibt es neue Probleme: In Myanmar werden jetzt Elefanten gewildert, um deren Haut vielfach zu verarbeiten – als Cremes gegen Ekzeme, als Pulver gegen Magenbeschwerden und als polierte Kügelchen, die Glück verheißen sollen.

Neben Nashörnern und Elefanten aus Afrika stehen auch Tiger und Kragenbären aus Asien ganz oben auf der Abschussliste der kriminellen Jäger. Tigerknochen sollen gegen Rheuma und Impotenz helfen, Bärengalle gegen Augen- und Leberbeschwerden. Das Fleisch von Schuppentieren gilt als Delikatesse, ihre Schuppen als Medizin. Die putzigen, an Tannenzapfen erinnernden Säuger werden gejagt wie keine andere Art. 70.000 der streng geschützten Tiere lassen pro Jahr ihr Leben für den Schwarzmarkt. In China versprechen zudem Gerichte mit Schlangenblut, Tigerpenis oder Schildkrötensuppe Linderung und Prävention. Der Glaube an die stärkende Kraft solcher exotischen Rezepturen geht auf die Jahrtausende alte traditionelle chinesische Medizin – heute bekannt als TCM – zurück, die in Ostasien gleichberechtigt zur westlichen Medizin angewendet wird. Der Grundsatz: Gesundheit und Krankheit lassen sich mit Naturgesetzen erklären – also lässt sich der Körper durch natürliche Substanzen in einen ausgeglichenen Zustand versetzen.

„Ab dem 15. Jahrhundert entstanden riesige Sammelbände, teils mit 60.000 Rezepten pro Band – alles, was kreucht und fleucht ist dort angewendet worden“, sagt Medizinhistoriker Unschuld, auch Autor des Buchs „Traditionelle Chinesische Medizin“. Allerdings, so Unschuld, sei die TCM in den 50er-Jahren auf einen Kern reduziert und kreativ erweitert worden, damit sie auch den Westen erobert. Die Unkenntnis der historischen Medizin habe zu zahlreichen Missverständnissen und Übersetzungsfehlern geführt. Zwar gebe es unter den alten chinesischen Naturheilmitteln auch solche, die wirksam gegen Grippe oder Durchfall helfen könnten – immerhin bestehe auch die westliche Medizin zu 70 Prozent aus pflanzlichen Anregungen, sagt Unschuld.

Zurückgeblieben in den Köpfen sei jedoch weiter der Aberglaube an das okkulte Schaffen der alten Chinesen. Etwa an das Nashorn-Horn: Es hat sich die Vorstellung manifestiert, dass die Körperteile starker, mächtiger Tiere eine besondere Wirkung auf korrespondierende Körperteile beim Menschen haben. Heißt: Weil das Horn an einen erigierten Penis erinnert, wird ihm eine Heilkraft gegen Impotenz nachgesagt. Ebenso dem Tigerpenis. Tigerdung indes soll gegen Hämorrhoiden helfen. „Man kann dieses historische Denken nicht einfach ausknipsen“, sagt Unschuld.

Binnen 48 Stunden ist ein Horn auf dem Markt in Asien

Der Mystizismus ist ein Mordsgeschäft für die Wildereibanden. Diese seien inzwischen mafiaähnlich und terroristisch organisiert, wie WWF-Experte Köhncke sagt. Durch Mittelsmänner gelangt die Ware etwa vom Krügerpark in Südafrika über Mosambik nach Thailand, von dort nach Vietnam. „Binnen 48 Stunden wird das abgehackte Horn in den Geschäften Hanois und anderswo verkauft“, so Köhncke. High-Tech-Wilderer bedienen sich GPS-Daten und Motorsägen, landen mit kleinen Helikoptern und schießen mit modernen Waffen.

Wildhüter müssen dabei um ihr Leben bangen. Im südafrikanischen Krügerpark, wo so viele Tiere wie nirgendwo anders getötet werden, lässt der Staat für jährlich 50 Millionen Euro Ranger im Kampf gegen die Wilderer ausbilden. Eine Militäreinheit hilft aus, unbemannte Drohnen der Luftwaffe übernehmen die Aufklärungsarbeit. Aber vielen Wildfarmen fehlt das Geld und die Arbeitskraft für so etwas. Mancherorts lassen verzweifelte Parkbesitzer die Hörner ihrer Nashörner sogar schon von Veterinären amputieren, um ihre Tiere vor den Wilderern zu schützen.