Berlin. Bundesamt warnt in einem internen Schreiben vor den Folgen für die deutschen Küstenregionen

Die Bundesländer an den deutschen Nord- und Ostseeküsten müssen sich in ihren Plänen zum Küstenschutz offenbar auf erheblich größere Herausforderungen einstellen als bislang angenommen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) jedenfalls geht davon aus, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts deutlich stärker ansteigen wird – mit gravierenden Folgen für die norddeutsche Küstenregion.

In einem internen Schreiben an das Bundesverkehrsministerium, aus dem der Norddeutsche Rundfunk zitiert, schließt das Bundesamt einen Anstieg des Meeres „von deutlich über einen Meter bis hin zu 1,70 Metern“ nicht mehr aus. Derzeit planen Bund und Länder in ihren Abschätzungen der Folgen des Klimawandels mit einem Anstieg des Meeres um knapp einen Meter bis 2100. Die Behörde warnt in dem Schreiben an das Ministerium, dass dieser deutlich stärkere Anstieg zu Problemen an den Küsten führen könne. Heutige Maßnahmen würden den Bauwerken und Siedlungen zumindest bis zum Jahr 2050 einen ausreichenden Schutz vor Überflutung bieten, wird das BSH zitiert. Dennoch drohten eine „dauerhafte Vernässung“ und eine „dauerhafte Überflutungsgefahr“ von tief liegenden Küstengebieten, da Flüsse und Regenwasser immer schlechter ins Meer abfließen könnten. Ein Beispiel: Das Niedersächsische Umweltministerium erklärte hierzu, dass mit den tiefer liegenden Marschen etwa ein Siebtel der Landesfläche von Sturmfluten bedroht sei. Betroffen sei auch Schifffahrt auf Küstenwasserstraßen wie etwa dem Nord-Ostsee-Kanal.

Wie hoch genau der Meeresspiegel in den kommenden Jahren als Folge Erderwärmung ansteigen wird, ist wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt. Auch versucht die Wissenschaft zu verstehen, wie stark die schmelzenden Eisschilde der Antarktis und Grönlands zum Meeresspiegelanstieg beitragen. Das Bundesamt stützt seine Abschätzung auf aktuelle Klimastudien. So finden sich in der Liste der verwendeten Literatur, die der Redaktion vorliegt, Verweise auf 20 Studien aus den vergangenen drei Jahren. Weit älteren Datums ist der Sachstand, an dem sich Bund und Länder bislang orientierten: Der letzte veröffentliche Bericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC) stammt von 2013. Darin prognostizieren Wissenschaftler als pessimistischstes globales Szenario einen Anstieg des Meeresspiegels um 52 bis 98 Zentimeter bis zum Jahr 2100.

Damals gingen die Wissenschaftler davon aus, dass das Eis der Antarktis stabil bleibt. Jüngere Studien aber warnen, dass die nun eingesetzten Schmelzprozesse dazu führen könnten, dass die Eismassen in der Westantarktis kollabieren. Dann könne das Meer bis 2100 sogar um zwei Meter steigen.

Antarktis und Arktis gelten als ungleiche Brüder. Das Antarktiseis schmilzt nach Erkenntnissen von Glaziologen vor allem durch warmes Wasser, das Grönlandeis durch warme Luft. In einer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung Fakten zur Arktis zusammengetragen. Danach sei die Fläche des Meereises innerhalb der vergangenen 20 Jahre um 1,21 Millionen Quadratkilometer zurückgegangen – das ist mehr als dreimal die Fläche von Deutschland.

Eine Neubewertung, so zitiert der NDR eine Stimme aus dem Verkehrsministerium, wolle man erst auf Grundlage des neuen UN-Reports vornehmen. Der IPCC arbeitet aktuell an drei Sonderberichten, die bis 2019 veröffentlicht werden sollen. Ein Thema: das Meer.