Oldenburg. Windräder sind extremen Belastungen ausgesetzt. Mithilfe eines Chaos-Systems wollen Forscher das perfekte Modell entwickeln

Fast jeder kennt es: Beim Landeanflug blinken rot die Anschnallzeichen auf. Aus gutem Grund: Es wird turbulent, denn in Bodennähe verwirbelt sich der Wind. Treten dann noch Böen auf, kann es ganz schön ungemütlich werden. Das, was Flugzeuge und Passagiere beim Lande- und Startvorgang erleben und manchmal erleiden, ist Dauerzustand für Windkraftanlagen auf See und an Land. Genau diesen turbulenten und prinzipiell chaotischen, also nicht berechen- und reproduzierbaren Windströmungen sind Forscher in einem neuen Zentrum an der Universität Oldenburg – dem „WindLab“ – auf der Spur.

„Wir können das Chaos wiederholen“, sagt der Physiker und Turbulenzforscher Joachim Peinke, für den mit dem Wind-Labor ein „Traum“ in Erfüllung ging. Der 60-Jährige leitet zusammen mit dem Windenergieexperten Martin Kühn das 20 Millionen Euro teuere WindLab, das vom Bund und dem Land Niedersachsen je zur Hälfte finanziert wurde. Das Herzstück: ein 30 Meter langer und flexibel gestaltbarer Windkanal. Dort werden Einzelwindkraftanlagen mit einem Rotorblattdurchmesser von rund 1,80 Meter oder kleinere Modellanlagen mit einem Durchmesser von 58 Zentimetern in „Parkformation“ montiert und Windturbulenzen ausgesetzt.

Es geht dabei um eine möglichst genaue Abbildung der natürlichen Windverhältnisse. Turbulenzen und Windwirbel entstehen etwa durch Widerstände wie Häuser, Hügel, Berge, Wälder und auch Wettereinflüsse, die den Wind unsystematisch verwirbeln. Ein wissenschaftlich betrachtet ziemlich chaotischer Vorgang. Vor allem in der Höhe der Windanlagen sind diese Turbulenzen Alltag. Die neue Anlage soll viele Fragen beantworten: Wie müssen Windräder in einem Park angeordnet werden, damit sie den Wind mit seinen Turbulenzen optimal nutzen? Wie müssen die Anstellwinkel der tonnenschweren Rotorblätter sein? Und wie geht man mit der Eigenturbulenz um? Denn nicht nur der frische Wind, der auf die erste Anlage eines Windparks trifft, ist turbulent. Das Windrad erzeugt selbst neue Turbulenzen, die sich wieder auf die nachfolgenden Windräder auswirken. Ist der Windkanal das Herzstück des Wind-Labors, dann ist das sogenannte Aktive Gitter das Kernstück des Windkanals. 80 Elektromotoren und 40 unterteilbare Achsen mit variablen Klappen erzeugen das Chaos im Windkanal, sollen also den Windverhältnissen in der Natur möglichst nahe kommen. „Wir können Böen schon reproduzieren“, so der Physiker Lars Kröger, der für das Gitter verantwortlich ist. Der Wind wird von vier Ventilatoren erzeugt, mit Geschwindigkeiten von über 100 Stundenkilometern durch das Gitter gedrückt und trifft entsprechend turbulent auf die Modellanlagen.

Zwar betreibt das WindLab damit insbesondere Grundlagenforschung. Die dürfte aber für Unternehmen der Windkraftbranche bei der Planung zukünftiger Anlagengenerationen wichtig sein. An Land (On-Shore) rechnet man bei einer Windkraftanlage mit einer Betriebszeit von rund 25 Jahren, auf See (Off-Shore) mit 20 Jahren. An den rund 27 500 Windrädern – 96 Prozent davon stehen an Land – drehen sich in Deutschland jeweils drei Flügel. Macht insgesamt 82.500 Einzelflügel. Auch Turm und Turbine müssen Turbulenzen standhalten. Bei einer Betriebszeit von 20 Jahren ist die Anlage bis zu 100 Millionen Windstößen ausgesetzt, was extreme Herausforderungen an Material und Technik stellt, erläutern die Oldenburger Forscher.

14 Prozent der deutschen Energie aus Windanlagen

Dabei werden Windkraftanlagen und damit auch die Angriffsfläche immer größer. „Das ist wie bei Segelschiffen: Je größer das Segel, desto mehr Wind wird genutzt. Je größer die Rotorblätter, desto größer der Energieertrag“, beschreibt Bernd Eilitz, ein Sprecher bei Siemens Wind Power, den Trend. Bei Siemens misst der längste Flügel 75 Meter. Er ist 35 Tonnen schwer. In Cuxhaven baut Siemens bald die neuesten getriebelosen Generatoren mit einer Leistung von sieben und acht Megawatt.

Das Ziel in Deutschland ist klar: Immer mehr Strom soll nach dem Willen der Bundesregierung aus erneuerbaren Quellen stammen. Schon heute liefern allein die Windkraftanlagen rund 14 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms.