Berlin. Eine Myokarditis bleibt häufig unentdeckt. Doch die Entzündung des Muskels kann lebensgefährlich sein. Wie sie entsteht und was hilft

Sie wird pro Jahr in Deutschland nur einige Tausend Male diagnostiziert – ihre Dunkelziffer liegt jedoch weit höher: Eine Herzmuskelentzündung, die Myokarditis, bleibt oft unentdeckt, heilt vielfach ohne Folgeprobleme aus und muss nicht unbedingt gefährlich sein. Doch wenn sie sich bemerkbar macht, ist Vorsicht geboten.

Wie kann sich der Herzmuskel
entzünden?

Anders als degenerative Erkrankungen, wie etwa Arthrose, Osteoporose oder Parkinson, deren Auftreten mit zunehmendem Alter wahrscheinlicher wird, tritt eine Herzmuskelentzündung meist eher im mittleren Lebensalter, etwa zwischen 30 und 50 Jahren auf. Dabei gibt es zwei Gruppen von Myokarditiden, wie Professor Dieter Horstkotte, Direktor der Klinik für Kardiologie und stellvertretender ärztlicher Direktor des Herz- und Diabeteszentrums (HDZ) NRW, erklärt: „Für die infektiöse Herzmuskelentzündung sind Krankheitserreger wie Viren, Bakterien, Parasiten oder auch Pilze verantwortlich. Bei der wesentlich selteneren nicht infektiösen Myokarditis sind Medikamente, Giftstoffe oder eine fehlgeleitete Immunreaktion des Körpers die Ursache.“ Warum das Immunsystem bei der sogenannten autoimmunen Myokarditis das Herzmuskelgewebe angreift, ist nicht abschließend geklärt. Vermutet wird aber, dass bestimmte Strukturen im Herzmuskel aufgrund ihrer morphologischen Ähnlichkeit mit Viruspartikeln vom Immunsystem fälschlicherweise bekämpft werden.

Am häufigsten werde eine Herzmuskelentzündung aber durch Viren ausgelöst, so Horstkotte, etwa solche, die auch Atemwegserkrankungen wie eine Grippe, oder Magen-Darm-Erkrankungen verursachen. Diese Viren dringen über spezielle Rezeptoren in das Herzmuskelgewebe ein und stoßen dort einen Entzündungsprozess an. Heute weiß man, dass einige Menschen anfälliger sind als andere: Sie besitzen mutmaßlich eine größere Anzahl von Rezeptoren, sodass die Viren leichter in den Herzmuskel gelangen können. „Allerdings reicht dieses Wissen nicht aus, um etwa im Vorfeld Risikogruppen zu identifizieren“, so Horstkotte.

Wie kann sich die Erkrankung zeigen?

Eine Herzmuskelentzündung muss sich nicht zwingend mit eindeutigen Warnsignalen bemerkbar machen – die Symptome können vielfältig und vor allem ziemlich unspezifisch sein.

Indizien für die Erkrankung sind etwa ständige Müdigkeit, eine generelle Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit oder auch Herzrasen, Herzstolpern, ein dauerhaftes Enge- oder Druckgefühl oder aber gelegentliche Schmerzen in der Brust. Treten derartige Symptome in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Virusinfekt der Atemwege oder des Magen-Darm-Traktes auf, also etwa zwei Wochen bis drei Monate nach einer solchen Erkrankung, kann dies auf eine Myokarditis hinweisen. „Leidet man unter einem Infekt, der atypisch lang anhält und fühlt sich dauerhaft matt und abgeschlagen, sollte man auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen“, rät Horstkotte. Gleiches gilt, wenn man unter Brustschmerzen leidet oder der Herzschlag Unregelmäßigkeiten aufweist. „Das ist immer ein Alarmsignal – ein gesunder Mensch spürt sein Herz normalerweise nicht.“


Wann wird die Entzündung
bedrohlich?

In den meisten Fällen wird das Herz nur kurzzeitig in Mitleidenschaft gezogen: Die entzündungsauslösenden Viren werden schnell wieder aus dem Herzmuskel ausgeschleust und nach einigen Tagen ist die Entzündung ausgeheilt. „Würde man während dieser Zeit das Herz untersuchen, könnte man womöglich eine Schwellung des Herzmuskels, ein Ödem, erkennen“, so Horstkotte. Was aber praktisch nur selten geschieht. Kommt es nämlich aufgrund des Ödems zu Rhythmusstörungen wie beispielsweise Extrasystolen, also zusätzlichen Herzschlägen, würden einige Patienten das gar nicht bemerken. „Andere merken zwar etwas, aber stören sich nicht daran, und wieder andere sind hochbesorgt und gehen zum Arzt.“ Und nur in diesen wenigen Fällen würde dann die Entzündung als solche auch erkannt.

Bei etwa 95 Prozent der Myokarditiden, schätzt Dieter Horstkotte, handele es sich um einen harmlosen Verlauf ohne Folgeprobleme. Wesentlich seltener seien die schweren Verläufe, bei denen die Entzündung länger anhält, die Schwellung des Herzmuskels dessen Pumpfunktion beeinträchtigt und sich eine ausgeprägte Herzschwäche entwickelt. „Wir wissen heute, dass Leistungssportler häufiger einen schweren Verlauf erleiden“, so Horstkotte. Das könnte mit einer Anpassung des Immunstatus an die sportlichen Herausforderungen zusammenhängen: Durch ein verändertes Gleichgewicht von Stoffen wie Interferon und Interleukin könne ihr Körper zwar schneller Verletzungen heilen, er sei jedoch bei der Viruseliminierung teilweise weniger effizient.


Wie wird die Erkrankung
diagnostiziert?

Im EKG oder Langzeit-EKG lassen sich Rhythmusstörungen erkennen; die Echokardiografie (Ultraschall) zeigt eine Funktionsstörung der linken Herzkammer und eine eingeschränkte Pumpfunktion; mittels Magnetresonanztomografie können strukturelle Veränderungen im Herzmuskel mithilfe von Kontrastmitteln nachgewiesen werden. Laborchemische Untersuchungen von Blut- und Gewebeproben geben zudem Aufschluss über den entzündungsauslösenden Krankheitserreger. „Daraus lässt sich auch abschätzen, ob die Entzündung von selbst ausheilt oder ob eine spezifische medikamentöse Behandlung sinnvoll ist“, so Dieter Horstkotte.

Wann wird eine Behandlung
notwendig?

Kann der Körper die Viren wieder aus dem Herzmuskel ausschleusen, heilt die Entzündung in aller Regel ohne größere Probleme aus. Sogar eine eingeschränkte Pumpfunktion könne sich mitunter von selbst wieder regulieren, sagt Horstkotte. Symptomatisch lässt sich die Entzündung etwa mit Medikamenten behandeln, die das Herz zu entlasten helfen; außerdem müssen Patienten für die Dauer der Erkrankung körperliche Anstrengung vermeiden.

Zeigen sich im EKG schwerwiegende Rhythmusstörungen wie ein Herzflimmern, müssen die Patienten überwacht werden. Ist ihre Pumpleistung sehr stark eingeschränkt, erhalten sie einen externen Defibrillator, der die Herzfunktion erkennt und dann reagiert. Die dauerhafte Implantation eines internen Defibrillators wird erst erforderlich, wenn die bedrohliche Herzschwäche anhält. Im Extremfall wird eine Herztransplantation notwendig. „Die Regel ist das aber nicht“, betont Horstkotte. „Bei den allermeisten Patienten geht die Erkrankung ohne Folgeschäden vorüber.“

Sport trotz Erkältung – besteht das
Risiko einer Herzmuskelentzündung?

Ein Schnupfen, der sich auf die Nase beschränke, stelle eigentlich keinen Hinderungsgrund dar, sagt Professor Heribert Schunkert vom Deutschen Herzzentrum in München. „Man kann den Sport dann auch dazu nutzen, die Nase ein wenig frei zu bekommen.“

Kämen jedoch Fieber oder Gliederschmerzen hinzu, sollten Erkrankte unbedingt verzichten. „Das sind Anzeichen für eine systemische Entzündung, die den Körper ohnehin viel Kraft kostet, weil die körpereigene Abwehr arbeitet“, erklärt der Kardiologe. Sport bedeute dann für den Körper zusätzlichen Stress – die Virusabwehr kann so geschwächt werden und die Erreger können auf andere Regionen des Körpers, etwa auf den Herzmuskel, übergreifen. Auch die Einnahme von Erkältungsmitteln, etwa schmerzlindernde oder fiebersenkende Medikamente, reduzieren nicht das Risiko einer Herzmuskelentzündung. Denn die Präparate wirken nur symptomatisch – „wer sie einnimmt, sollte auf Sport verzichten“, rät Schunkert. Die Erkrankten fühlten sich zwar besser, der Körper sei jedoch trotzdem gestresst.

Bei jemandem, der schon einmal eine Herzmuskelentzündung hatte, gelten andere Regeln. Die Deutsche Herzstiftung rät, zunächst bei einem Kardiologen überprüfen zu lassen, ob die Funktion der linken Herzkammer eingeschränkt ist und ob bedeutsame Rhythmusstörungen vorliegen. Bei einem unkomplizierten Verlauf empfiehlt die Stiftung, erst nach drei Monaten und einer erneuten Untersuchung wieder mit dem Sport zu beginnen.