Die Forschung in der Hansestadt ist längst besser als ihr Ruf. Kein Grund, sich zurückzulehnen – es gibt noch genug zu tun

Hamburgs bedeutendste wissenschaftliche Attraktion werden die meisten Hamburger nicht zu sehen bekommen, jedenfalls nicht im Detail. Denn der 3,4 Kilometer lange Freie-Elektronen-Laser European XFEL, der im Sommer 2017 mit dem Regelbetrieb startet, verläuft unterirdisch – zwischen Bahrenfeld und Schenefeld (Schleswig-Holstein).

Das hat nichts mit Geheimniskrämerei zu tun. Vielmehr war oberirdisch in geeigneter Lage keine unbebaute Fläche verfügbar für die Anlage, die Supermi­kroskop und Hochleistungskamera in einem ist. Davon abgesehen können dort grundsätzlich Rundgänge für jedermann zumindest im großen Stil nicht stattfinden, aus Rücksicht auf die empfindlichen Instrumente und um die Experimente nicht zu stören.

So wird es vorerst bei wenigen Führungen für kleine Gruppen bleiben. Ein Besucherzentrum ist zwar geplant – noch fehlen dafür aber Geldgeber.

Der European XFEL steht beispielhaft für ein strukturelles Problem der Wissenschaft: Sie geschieht aus Sicht vieler Bürger im Verborgenen. Wie Ärzte, Kaufleute, Lehrer oder Piloten arbeiten, davon haben die meisten Menschen wenigstens eine grobe Vorstellung. Was in Forschungslaboren geschieht, bleibt oft ein Mysterium.

Diese vergleichsweise geringe Präsenz von Wissenschaft im Bewusstsein der Bürger ist in Hamburg ein größeres Problem als etwa in Berlin, München, Heidelberg und Tübingen, die sich schon lange als Universitätsstädte verstehen. Und in der Kaufmannsstadt Hamburg fragen die Bürger eher: Was bekommen wir für unser (Steuer-)Geld?

Wissenschaft wirft zwar keinen Gewinn im landläufigen Sinne ab; sie soll vor allem für Aufklärung und Fortschritt sorgen. Gleichwohl ist sie ein Wirtschaftfaktor, kann für die Ansiedlung von Firmen und für Bundesinvestitionen sorgen – und damit zusätzliche Jobs schaffen. Schon jetzt sind mehr als 27.000 Menschen an Hamburgs Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen beschäftigt. An den Hochschulen sind derzeit rund 100.500 Studierende eingeschrieben – ein neuer Rekord.

Ein neues Naturkundemuseum könnte der Stadt Schub geben

Hamburg wird sich künftig auf seine Schlüsselbranchen, insbesondere die maritime Wirtschaft, allein nicht verlassen können – das gilt umso mehr, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Elbvertiefung kippen sollte. Insofern könnte Hamburgs Wohlstand künftig stärker auch von seiner Bedeutung als Wissenschafts- und Hightech-Standort abhängen. Dazu müsste Wissenschaft in der Hansestadt allerdings stärker als bisher identitätsstiftend wirken.

Das beginnt damit, dass Forscher öfter ihre Labore öffnen sollten. In diesem Punkt hat Hamburg große Fortschritte gemacht – zum Beispiel dank der Wissenschaftsbehörde. In der jüngsten von ihr organisierten Nacht des Wissens im November 2015 strömten mehr als 30.000 Besucher durch die Hochschulen und wissenschaftlichen Institute der Hansestadt. Die nächste Ausgabe im Herbst 2017 könnte einen neuen Besucherrekord aufstellen.

Auch erfolgreich ist die Vortragsreihe „Wissen vom Fass“ in Hamburger Kneipen, die der Physiker Jan Louis von der Uni Hamburg 2015 initiiert hat. In diesem Jahr fand das Format zum zweiten Mal statt.

Seit Langem jedes Jahr aufs Neue proppenvoll sind die Vorlesungen der Kinder-Universität an der Uni Hamburg. Und wo wir beim Nachwuchs sind: Im Juni 2017 öffnet an der Grindelallee das erste Schülerforschungszentrum Norddeutschlands, finanziert von der Uni Hamburg, der Joachim Herz Stiftung, der Körber-Stiftung und dem Arbeitgeberverband Nordmetall.

Allein diese Beispiele zeigen: Es gibt ein großes Interesse für Wissenschaft in Hamburg – bei Jung und Alt. Und es gibt viele engagierte Menschen in der Hansestadt, die Bürger an Forschung heranführen und die Forscher von morgen fördern wollen.

Gleichwohl ist die Wissenschaftsvermittlung in Hamburg ausbaufähig. Zeitlich begrenzte Formate stimulieren zwar die Neugierde auf Wissenschaft und tragen zur Akzeptanz von Forschung bei – dass Hamburg allein dadurch im Bewusstsein seiner Bürger zu einer Stadt der Wissenschaft wird, ist jedoch fraglich.

Nachhaltiger wirken könnte ein Wahrzeichen der Wissenschaft in Hamburg. Kaum etwas eignete sich dafür so gut wie ein neues Hamburger Naturkundemuseum, das im Idealfall an prominenter Stelle errichtet würde. Würde dort die Entwicklung des Universums vom Urknall bis zur Entstehung des Lebens und die Rolle des Menschen in der Evolution vermittelt, wie es Jürgen Lüthje, der frühere Präsident der Uni Hamburg im Abendblatt vorschlug, repräsentierte dies einen bedeutenden Teil der Hamburger Forschung.

Eine nur auf Wow-Effekte abzielende Welt der Wunder-Strategie wäre für Hamburgs Forscher allerdings nicht zielführend. Vielmehr sollten unsere Wissenschaftler künftig auch stärker als Ideengeber und Problemlöser auftreten – so wie es etwa Forscher der HafenCity Universität mit dem Projekt „Finding Places“ bei der Suche nach Plätzen für Flüchtlingsunterkünfte getan haben.

Hamburger Forscher werden seit 2010 häufiger zitiert

Es gibt für Hamburgs Wissenschaftler durchaus Grund, selbstbewusst aufzutreten. Zumindest in Physik und in den Geowissenschaften sind unsere Forscher bundesweit spitze. Das Gros der Disziplinen landet zwar im Mittelfeld. Teilweise scheint es allerdings aufwärts zu gehen. So lässt sich eine Analyse des Berliner Professors Stefan Hornbostel zusammenfassen, die er im Auftrag der Hamburger Patriotischen Gesellschaft erstellte. Er gilt als Experte für Leistungsbewertungen.

Ihm zufolge sind Hamburger Forscher seit 2010 häufiger zitiert worden als früher. Zwar gibt es noch eine recht große Distanz zu Berlin und München – aber Hamburg holt auf. Gestiegen ist auch Hamburgs Anteil an den hochzitierten Publikationen. „Das ist ein Indiz dafür, dass Top-Forschung, die international wahrgenommen wird, in Hamburg stärker produziert wird“, sagte Hornbostel.

Das macht Hamburg zwar noch nicht zu einem Top-Favoriten im Kampf um Fördergelder bei der neuen Exzellenzstrategie des Bundes, spricht aber dafür, dass insbesondere die Uni Hamburg inzwischen besser aufgestellt ist.

Auch an der HAW und der TU Hamburg-Harburg könnte es 2017 vorangehen, treten dort doch mit Micha Teuscher und Dieter Jahn zwei neue Präsidenten an, die als sehr gut vernetzt, engagiert und führungserfahren gelten.

Noch vor einigen Jahren galt bei den Hamburger Hochschulen: Jeder kämpft überwiegend für sich. Vorwerfen konnte man ihnen das nicht, sollten sie sich doch wie alle deutschen Universitäten und Fachhochschulen im Zuge der Bologna-Reform um Profilierung und Abgrenzung bemühen. Da sich in der Hamburger Forschungslandschaft aber Kooperationen teilweise regelrecht aufdrängen, haben sich die wissenschaftlichen Einrichtungen in der Hansestadt zuletzt auf Partnerschaften bei etlichen Forschungsprojekten eingelassen. Statt Alleingängen gerät nun wieder stärker der Forschungsstandort als Ganzes in den Blick – und das ist gut so.

Doch es gibt noch Luft nach oben: Vor Kurzem stellte der Wissenschaftsrat fest, dass in der Hansestadt alle Akteure von der Grundlagenforschung bis zur Industrie intensiver zusammenarbeiten müssten, wenn die Wissenschaft zu einem „starken Entwicklungsmotor für Hamburg und die Metropolregion werden“ soll.

Die Empfehlung, ein Gremium einzurichten, das für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) eine gemeinsame Forschungsstrategie entwickelt, ist von der Wissenschaftsbehörde zügig umgesetzt worden. Der neue MINT-Rat soll die Hochschulen auch dabei unterstützen, Forschungsgelder einzuwerben und renommierte Wissenschaftler in die Hansestadt holen.

Bei den zuletzt genannten Punkten ist Hamburg bereits auf einem guten Weg. Insbesondere der European XFEL, das Desy-Gelände und der Forschungscampus in Bahrenfeld haben laut Wissenschaftsrat „internationale Strahlkraft“. Etliche Ausnahmeforscher ließen sich bereits anlocken.

Hamburg kann gute Leute aber nicht nur abwerben, sondern auch halten, etwa die Gehirnforscherin und Leibniz-Preisträgerin Brigitte Röder. Sie erhielt einen Ruf aus Zürich – entschied sich in diesem Jahr aber dafür, weiterhin an der Uni Hamburg zu arbeiten.

Bleibt zu hoffen, dass bei der starken Fokussierung auf die MINT-Fächer in Hamburg die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht ins Hintertreffen geraten werden.

Nicht nur Neuzugänge beim Spitzenpersonal, auch neue Einrichtungen werden den Wissenschaftsstandort stärken. Hamburg war lange das einzige Bundesland ohne Fraunhofer-Niederlassung. In diesem Jahr hat Europas größte Organisation für angewandte Forschung ihre vierte Niederlassungen in der Hansestadt gegründet; eine fünfte könnte 2017 folgen.

Das ist auch ein Erfolg der Politik. Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Grüne) ist zwar erst seit 2015 im Amt und profitiert daher teilweise von früheren Entscheidungen, die etwa eine Aufstockung des Wissenschaftsetats von 841 Millionen Euro im Jahr 2007 auf eine Milliarde Euro im laufenden Haushalt mit sich brachten. Gleichwohl setzt sie eigene Akzente, wirbt sehr viel leidenschaftlicher als ihre Vorgängerin dafür, dass sich Hamburg stärker als Universitätsstadt versteht und seine Forscher entsprechend fördert. Dass sie 40 Millionen Euro zusätzlich für die Wissenschaft ausgeben kann, darf sie als großen Erfolg verbuchen.

Das ändert aber nichts an der Grundfinanzierung der Hochschulen, die der Wissenschaftsrat erst vor Kurzem als unzureichend bezeichnete. Die Zuwendungen steigen bis 2020 lediglich um 0,88 Prozent pro Jahr – was die Gefahr birgt, dass dieser Zuwachs durch steigende Personalkosten und die Inflation aufgefressen wird.

Die Grundfinanzierung der Hochschulen reicht nicht aus

Eine zentrale Rolle für die Entwicklung des Wissenschaftsstandorts spielt Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Er wirkte oft nicht so, als sei er Feuer und Flamme für die Wissenschaft. In seinen Reden beispielsweise zur Verleihung des Körber-Preises im Rathaus vor 600 geladenen Gästen sprach Scholz teilweise in einem selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich verhaltenen Ton über Hamburger Forschungseinrichtungen.

Ihm deshalb zu unterstellen, er interessiere sich nicht für Wissenschaft, wäre jedoch falsch. Die Aufstockung des Wissenschaftsetats – ohne den Bürgermeister nicht möglich. Die Fraunhofer-Offensive: Scholz trieb sie voran. Die Kooperation der HafenCity Universität mit der US-Eliteuni MIT: kam erst auf Initiative des Bürgermeisters zustande. Die Hamburg Open Online Universität, eine Internetplattform der staatlichen Hamburger Hochschulen: Scholz unterstützte sie von Anfang an.

Und neuerdings schlägt er auch andere Töne an. Aufhorchen ließ etwa, was der Bürgermeister vor Kurzem in seiner Rede zur Langen Nacht der Handelskammer sagte: „Ob Digitalisierung, Industrie 4.0, ob Krebstherapie, Seuchenbekämpfung oder nachhaltige Ressourcennutzung: Es gibt keinen globalen Megatrend und keine zentrale Fragestellung, die ohne exzellente Wissenschaft zu bewältigen wäre. Nicht ganz so offensichtlich ist es – selbst für viele Hamburgerinnen und Hamburger – dass sich unsere Stadt in den letzten Jahren Schritt für Schritt zu einem hochkarätigen Wissenschaftsstandort entwickelt hat.“

Letzteres war so pauschal gesagt zwar übertrieben. Doch wer weiß: Verstärkt Scholz sein Engagement für die Wissenschaft und packt das Problem der unzureichenden Grundfinanzierung an, wird man schon bald nicht mehr widersprechen können. Es wäre Hamburg zu wünschen.