Berlin. Die Industrie soll die Kügelchen freiwillig verbannen – doch staatliche Kontrollen fehlen. Die Grünen fordern ein umfassendes Verbot

Plastikmüll zerfällt über Jahre in immer kleinere Teile. Dieses sogenannte Mikroplastik gefährdet Wasserökosysteme, bindet Schadstoffe und gelangt über Fische und Muscheln auch in die menschliche Nahrungskette. Kleine Plastikpartikel stecken auch in einigen Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmitteln. Seit Jahren tobt ein Streit zwischen Industrie, Politik und Umweltschützern über die tatsächliche Gefahr aus dem Badezimmerschrank. Die Bundesregierung einigte sich 2013 mit Herstellern darauf, dass diese bis 2020 freiwillig vollständig auf den Einsatz der Partikel verzichten. Doch staatliche Kontrollen fehlen.

Die eingesetzte Mikroplastikmenge habe sich zwischen 2012 und 2015 um 70 Prozent reduziert, erklärt die Bundesregierung in einer Antwort auf eine aktuelle Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen. Sie liegt der Redaktion vor. Eigene Zahlen oder Untersuchungen legt die Regierung nicht vor, sondern verweist auf eine Umfrage des Europäischen Kosmetikverbandes Cosmetics-Europe. „Die Bundesregierung selbst kontrolliert den Stand des freiwilligen Ausstiegs nicht, sondern verlässt sich ausschließlich auf die Aussagen der Industrie“, kritisiert Peter Maiwald, Grünen-Sprecher für Umweltpolitik. Seine Partei sieht die Selbstverpflichtung gescheitert. Die eingesetzte Menge von Mikroplastik sei sogar noch gestiegen, argumentieren die Grünen in einem neuen Antrag, in dem sie ein gesetzliches Verbot von Mikroplastik in Kosmetik fordern. Als Beleg führen sie eine umstrittene Studie des Verbraucherportals Codecheck und dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) an. Darin wurden 103.000 Produktangaben ausgewertet.

Das Problem: „Hier wurden auch Kunststoffe einbezogen, die löslich sind, also keine Partikel bilden“, erklärt Marcus Gast vom Umweltbundesamt (UBA). Sie fallen somit nicht unter die Definition für Mikroplastik. In ihrer Antwort definiert die Bundesregierung Mikroplastik als: „Plastikpartikel, die fünf Millimeter und kleiner sind“. „Partikel im Nanobereich und flüssige Kunststoffe oder solche in Pulverform“ schließt die Vereinbarung von Regierung und Kosmetikindustrie explizit aus. Es bleibt die Frage, ob auch flüssige Kunststoffe die Umwelt belasten können. Die Bundesregierung liefert darauf keine Antwort: „Informationen speziell zum Umweltverhalten von Mikroplastik in flüssiger Form liegen uns nicht vor.“ Auch darüber hinaus bleiben einige der insgesamt 21 Fragen der Grünen an die Regierung unbeantwortet. So gebe es etwa darüber, welche Produktgruppen auf dem deutschen Markt Mikroplastik in die Umwelt freisetzen könnten, „keine Erkenntnisse“. Bei den noch heute eingesetzten Mengen der Partikel verlässt sich die Regierung in ihrem Schreiben erneut auf die Industrie: „Nach Angaben des Industrieverbandes Hygiene und Oberflächenschutz werden circa zehn Tonnen Mikroplastik pro Jahr zur Herstellung von Pflegeemulsionen zur Oberflächenbeschichtung in der gewerblichen Reinigung eingesetzt.“ In Wasch- und Reinigungsmitteln für den privaten Gebrauch würden laut IKW circa 50 Tonnen Mikroplastik pro Jahr verwendet. Die Menge des Mikroplastiks aus Kosmetika und Reinigungsmitteln schätzt die Regierung dennoch als gering ein. Sie spiele „nur eine untergeordnete Rolle gegenüber anderen Eintragsquellen“. Der Anteil liege im unteren einstelligen Prozentbereich.

Auch UBA-Experte Gast sieht Mikroplastik aus Kosmetik als kleineren Teil des Problems: „Andere Quellen spielen eine deutlich größere Rolle, etwa Reifenabrieb oder kleine Kunststoffpellets, die bei der Produktion von Plastik in die Umwelt gelangen können, auch kleinste Kunststoffpartikel in Beschichtungen, mit denen etwa Hochglanzmagazine überzogen werden.“ Dennoch bestehe weiterer Forschungsbedarf, auch bei flüssigem Kunststoff in Kosmetikprodukten. Für eine abschließende Beurteilung sei es zum jetzigen Zeitpunkt noch „zu früh“.