Berlin. Für Haustiere ist der Jahreswechsel Stress: Böllerkrach und Brandgeruch verunsichern sie. Was Experten den Haltern raten

Nelly hasste Treppenstufen. Beharrlich weigerte sie sich, den Weg ins Obergeschoss oder in den Keller zurückzulegen – nicht einmal Leckerlis konnten sie, normalerweise verfressen, dazu bewegen, die glatten Holzstufen zu betreten. Bis Silvester kam – und der Hund plötzlich wie von Sinnen über die Treppe hinauf ins elterliche Schlafzimmer flüchtete, wo er sich im Bett verkroch. Als Jagdhund war Nelly eigentlich schussfest – doch irgendetwas an diesem Abend ging ihr gehörig gegen den Strich.

Tiere zeigen unterschiedliche Anzeichen von Furcht

Es sei nicht ungewöhnlich, dass Haustiere auf Raketen, Chinaböller und anderes Feuerwerk ängstlich, mit Verhaltensänderungen bis hin zu körperlichen Symptomen reagieren, erklärt Tierärztin Astrid Behr, Sprecherin des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte. Einige haben zeitlebens Probleme mit Silvester und geraten auch bei jedem Gewitter in Panik, sodass ihre Besitzer schon darauf eingestellt sind.

Doch auch vermeintlich robuste Naturen, die Lichteffekte und Lärm jahrelang stoisch hingenommen haben, können plötzlich Furcht entwickeln. Diese äußere sich auf verschiedene Arten, so Astrid Behr: Dazu können Nahrungsverweigerung oder auch Symptome wie Erbrechen und Durchfall gehören. Hunde zeigen ihre Angst zudem etwa mit pausenlosem Hecheln oder Zittern, Jaulen, Knurren oder hysterischem Bellen sowie untypischer Aggressivität; bei Katzen lassen sich beispielsweise geweitete Pupillen beobachten, ein verstärktes Putzverhalten, vermehrtes Fauchen, Kratzen und Harnmarkieren.

Spaziergänge kurz halten, Rollläden schließen

Dass man Haustiere, die sich ängstigen, zu Silvester nicht allein lässt, versteht sich von selbst. Außerdem sollten Halter darauf verzichten, Tischfeuerwerk und ähnliches in der Wohnung abzubrennen. Grundsätzlich ist oft schon viel gewonnen, wenn die Besitzer dafür sorgen, dass Hund und Katze so wenig wie möglich vom Silvesterspektakel mitbekommen. Das bedeutet im Einzelnen: Spaziergänge weit vor beziehungsweise nach Mitternacht machen und möglichst kurz halten. Dabei bleiben Hunde am besten angeleint, auch wenn sie sonst frei laufen, rät die Tierärztin. Denn gerade in Städten, wo mancherorts schon mittags die ersten Raketen in die Luft gehen, besteht die Gefahr, dass der Hund sich erschreckt, in Panik gerät und wegläuft. Freigänger-Katzen sollte man an besagtem Tag und in der Nacht gar nicht vor die Tür lassen, sagt Astrid Behr, „auch wenn sie das nicht gerade freuen wird“.

Je weniger das Tier vom Lärm und den Lichtblitzen mitbekommt, desto besser: Wenn vorhanden, könnten Rollläden oder Gardinen geschlossen werden, empfiehlt Lea Schmitz vom Deutschen Tierschutzbund. Denn es sind nicht nur die Geräusche, die ein Tier verschrecken können, sondern auch die Lichteffekte. Hinzu kommt der Geruch: „Hunde haben einen mindestens 200fach besseren Geruchssinn als Menschen“, sagt Astrid Behr. Sie nehmen den Brandgeruch der Raketen und Knallkörper also sehr stark wahr.

Ruhe ausstrahlen, Sicherheit vermitteln

Wie stark Hund oder Katze auf die ungewohnten Silvestergeräusche reagieren, kann teilweise von der Rasse abhängen, sagt Astrid Behr. So seien Hütehunde, wie beispielsweise Collies, schon von Natur aus besonders sensibel. Zudem hat die Sozialisierung eines Tieres großen Einfluss darauf, unter welchen Umständen es sich fürchtet: „Wächst es in völlig geräuscharmer Umgebung auf, kann vieles, was es erst später kennenlernt, ihm Angst einjagen.“ Umso wichtiger also sei die Konfrontation mit vielen Reizen speziell in den ersten sieben Lebenswochen: Dazu zählen auch Geräusche von unterschiedlicher Qualität und Lautstärke. Oft haben Halter darauf allerdings keinen Einfluss – kommen Hund oder Katze vom Züchter, ziehen sie in der Regel erst mit einigen Monaten bei ihrem Besitzer ein.

Doch nicht nur die Sozialisierung in den ersten Wochen, auch das Verhalten des Haustierbesitzers in kritischen Situationen, wie in der Silvesternacht, ist von Bedeutung: Einem jammernden Haustier dürfe dann nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt werden, sagt Astrid Behr. „Denn das verstehen Tiere als Lob, was sie wiederum in ihrem Verhalten bestärkt.“ Wirken die Besitzer selbst hektisch oder verunsichert angesichts der tierischen Klagelaute, verängstige das ihr Tier umso mehr, erklärt Lea Schmitz. „Man sollte selbst möglichst ruhig bleiben – Hunde orientieren sich sehr stark am Verhalten ihrer Bezugsperson.“ Wenn der Besitzer ihn also übermäßig hätschele und bedaure, könne der Hund den Eindruck bekommen: „Hier stimmt was nicht.“

Es gilt also, die richtige Balance zwischen liebevoller Aufmerksamkeit und unaufgeregter Zurückhaltung zu finden. Dabei hilft Routine: Wer regelmäßig abends auf der Couch fernsieht oder Musik hört – der kann auch jetzt Fernseher oder Radio einschalten, um eine gewohnte Geräuschkulisse zu schaffen und vom Lärm vor der Tür abzulenken. Im Übrigen sollte man sein Tier zwar im Blick behalten, aber ihm auch Rückzugsmöglichkeiten bieten. „Manche Tiere suchen Nähe, wenn sie sich fürchten, andere verkriechen sich lieber“, sagt Lea Schmitz. „Man sollte sie dann nicht rauslocken, sondern einfach in Ruhe lassen.“

Auf Medikamente nur im Ernstfall zurückgreifen

Nur in Ausnahmefällen, und wenn das Haustier wirklich leidet, dürfe auf medikamentöse Unterstützung zurückgegriffen werden, sagen die Expertinnen. Dies sollte nie in Eigenregie, sondern unbedingt in Rücksprache mit einem Tierarzt geschehen. Insbesondere bei Haustieren, die auch in anderen Situationen sehr furchtsam reagieren, könnten auf lange Sicht verhaltenstherapeutische Maßnahmen helfen, sagt Astrid Behr.

Bei Nelly waren Medikamente und Therapie übrigens unnötig: Sie verkroch sich am Silvesterabend, blieb stundenlang für sich – und war am nächsten Tag wieder der ruhige und neugierige Jagdhund wie immer.