Berlin. Ein komplexes Systemsorgt dafür, dass der Organismus im Rhythmus bleibt. Doch wehe, es läuft etwas aus dem Takt

Ist es schon Zeit für den Pyjama? Die Antwort könnte der zu Bett gehende Mensch vom Ziffernblatt einer Uhr ablesen. Oder er horcht in sich hinein. Schließlich besitzt der Homo sapiens – wie fast alle anderen Lebewesen auch – eine innere Uhr. Genauer gesagt sind es sogar viele Uhren.

Wissenschaftler verstehen darunter ein komplexes System aus Genen und Enzymen, das Prozesse in den Zellen, Vorgänge des Stoffwechsels und auch bestimmte Verhaltensweisen in 24-Stunden-Zyklen ablaufen lässt. Fachleute sprechen vom zirkadianen Rhythmus. Beim Menschen werden unter anderem der Schlaf- und Wachzustand, Körpertemperatur, Blutdruck und Immunsystem auf diese Weise reguliert. Der Körper befindet sich jeweils in einem uhrzeittypischen Zustand. Das führt dazu, dass beispielsweise Asthmaanfälle, Herzinfarkte oder Schlaganfälle gehäuft zu bestimmten Tageszeiten auftreten.

Die innere Uhr ist ziemlich präzise, wie Fred Turek, Direktor am Zentrum für Schlaf- und zirkadische Biologie an der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois, im Fachmagazin „Science“ schreibt. Das Fachmagazin widmet der inneren Uhr einen Themenschwerpunkt.

Doch wie funktioniert die innere Uhr? Das ist einigermaßen kompliziert. Vereinfacht gesagt laufen in den Zellen hintereinander bestimmte biochemische Reaktionen ab. Sie bilden eine Art Kreislauf, der im Prinzip immer gleich lang dauert. Jeder Schritt passiert zu einer festgelegten „inneren Uhrzeit“.

Der Mensch hat eine Art Hauptuhr im Gehirn, die Taktgeber für den restlichen Körper ist, wie das Chronomedizinische Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main schreibt. Sie liegt im sogenannten suprachiasmatischen Kern (SCN). Im SCN wird durch eine komplizierte Verschaltung von Genen eine Art Rhythmus mit einer Periodenlänge von etwa 24 Stunden vorgegeben.

Dieser Rhythmus wird durch Umweltreize beeinflusst, beim Menschen hauptsächlich durch die Helligkeitsunterschiede von Tag und Nacht. Das SCN gibt über Hormone oder das Nervensystem die innere „Uhrzeit“ an andere Teile des Körpers weiter. Dort laufen unzählige Nebenuhren.

Doch wehe, die innere Uhr geht falsch. Dann kann das gesundheitliche Auswirkungen haben. Schließlich sind viele Körperfunktionen und Stoffwechselwege davon abhängig, ihren Takt vorgegeben zu bekommen. So sei lange bekannt, dass bei Schichtarbeitern der zirkadiane Rhythmus durcheinander­-kommt und sie ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krankheiten haben, schreibt Schlafforscher Turek. Flugzeugpassagiere kennen den sogenannten Jetlag: Die innere Uhr brauche bis zu einer Woche, um sich mit der neuen Ortszeit zu synchronisieren, erklärt Turek.

In der Fachwelt setze sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass Probleme mit dem zirkadianen Rhythmus den Verlauf von Krankheiten beeinflussen und deren Schweregrad erhöhen können. Das sei etwa bei Depressionen der Fall, aber auch bei Übergewicht, Diabetes, neurologischen Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Magen-Darm-Erkrankungen, schreibt Turek. Und die Liste ist noch länger. So bekämen Schichtarbeiter häufiger Brustkrebs oder Stoffwechselkrankheiten, schreibt Mitchell Lazar, Endokrinologe an der Universität von Philadelphia, zusammen mit einem Kollegen.

Und Schichtarbeiter seien nicht die Einzigen, die Probleme haben, weil ihre innere Uhr nicht mit dem tatsächlichen Tag-Nacht-Rhythmus übereinstimmt. Es reiche oft schon, sich nachts dem blauen Licht von E-Book-Readern auszusetzen, um das eigene System durcheinanderzubringen. Lazar weist darauf hin, dass die innere Uhr des Menschen aus einer Zeit stammt, als es noch keine Nachtarbeit und Bildschirme gab.

In den vergangenen 20 Jahren sei das Wissen über zirkadiane Rhythmen rasant angewachsen, fasst Turek zusammen. Er bringt eine neue Disziplin ins Spiel: zirkadiane Medizin.