Berlin. Neue Satellitenbilder zeigen an vielen Stellen offenes Wasser. Das Meereis schmilzt von Sommer zu Sommer immer stärker

Noch ein paar wenige Tage ist Sommer in der Arktis. In der nördlichsten Region der Erde, die Teile Nordamerikas, Asiens und Europas bedeckt, ist das Eis aus gefrorenem Ozeanwasser auf sein jährliches Minimum abgeschmolzen. Klimaforscher sind besorgt. Denn die Fläche des Arktischen Meereises ist im September, also zum Ende der Schmelzsaison, auf eine Größe von knapp 4,1 Millionen Quadratkilometer (km2) geschrumpft. Das ist die zweitkleinste Fläche seit Beginn der Satellitenmessungen.

Zwar scheint es eine gigantische Fläche zu sein – immerhin würde Deutschland elfmal hineinpassen. Doch der Rückgang ist dramatisch, und so weit nördlich sei das Eis bis dato in den Sommermonaten noch nie geschmolzen. „Dies ist erneut ein massiver Eisverlust in der Arktis“, sagt Lars Kaleschke, Meereisphysiker vom Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg. Nur im Jahr 2012 war das Arktiseis noch weiter auf 3,4 Millionen km2 geschrumpft – ein negativer Spitzenwert, der auch auf bestimmte Wetterbedingungen zurückzuführen sei, so Kaleschke. „Der langfristige Trend zeigt aber, dass das Eis immer weiter zurückgeht.“ Der Vergleich mit Messungen der letzten Jahrzehnte macht das Ausmaß deutlich: In den Jahren 1979 bis 1999 war die im September von arktischem Meereis bedeckte Fläche im Durchschnitt noch 6 bis 7,5 Millionen km2 groß. Die Nordost- und Nordwestpassagen sind seit Ende August passierbar. Kein Eis versperrt Schiffen den Seeweg. Das verkürzt die Routen und senkt den Treibstoffbedarf. Zum ersten Mal war das 2008 möglich.

Nicht nur die schrumpfende Fläche des arktischen Meereises sorgt die Wissenschaftler. Auch die Tatsache, dass das Eis so weit nördlich wie nie, in der Zentralarktis ganz in der Nähe des Nordpols, geschmolzen sei und viele offene Wasserflächen zeige, sei sehr ungewöhnlich. Zudem zeigten Messungen der Eisdicke, dass das neu gebildete Eis in diesem Jahr kaum dicker als ein Meter war. Normal sei fast das Doppelte. „Das zeigt, wie angegriffen das System ist“, so Klimaforscher Klaus Grosfeld vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.

Schmelze erhöht die Erwärmung der Arktis weiter

„Der massive Eisverlust in der Arktis ist direkte Folge der Erderwärmung“, sagt Klimaforscher Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Dort wird die Arktis als „Achillesferse des Erdsystems“ beschrieben. „Die neuen Satellitenmessungen passen in den Trend, es zeigt sich, dass das arktische Eis sehr schnell auf den Anstieg der globalen Temperaturen reagiert“, so Levermann. Die Meereisschmelze verstärke sich hierbei selbst, indem sie die Erwärmung in der Arktis noch erhöhe. Grund sei der Albedo-Effekt: Schwindet die helle Eisoberfläche, die Sonnenstrahlung wie ein Spiegel in den Weltraum zurückreflektiert, kann mehr Energie den dunklen Ozean erwärmen, wodurch noch mehr Eis schmilzt.

Das hat dramatische Folgen für die Ökosysteme. „Weniger Eis bedeutet einen Rückgang an Eisalgen, die am Anfang der Nahrungskette von Fisch, Robbe und Eisbär in der Arktis stehen“, sagt Lars Kaleschke. Besonders an mehrjährigem Eis wachsen die Algen gut, so der Forscher. Es ist poröser als erstjähriges Eis, das noch keinen Sommer überstanden hat. Die Klimaveränderungen in der Arktis beeinflussen letztlich auch das Wetter in den hiesigen Breitengraden. Klimaforscher Klaus Grosfeld: „Wie genau die Wechselwirkung zwischen arktischem und unserem Wetter funktioniert, wird zurzeit erforscht. Fest steht, dass das Wetter aus der Arktis in wenigen Stunden in Europa ankommen kann.“