Berlin. Nur wenige Deutsche wissen, was in Notfällen zu tun ist. Warum Erste-Hilfe-Kurse heute spannender sind

Die Familie sitzt beim Kaffee, plötzlich rutscht Oma vom Stuhl und rührt sich nicht mehr. Was ist zu tun? Luft zufächeln? Wasser ins Gesicht schütten? 53 Prozent der Deutschen glauben laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Versicherungswirtschaft, in solchen Notfällen helfen zu können. Doch nur eine Minderheit weiß wirklich, was im Detail zu tun ist, wie die Befragung zeigte. Bei den meisten liegt der letzte Erste-Hilfe-Kurs demnach mehr als zehn Jahre zurück. Um die Kurse wieder attraktiver zu machen, hat das Deutsche Rote Kreuz (DRK) den Unterricht entschlackt. Zum heutigen Tag der Ersten Hilfe erklärt DRK-Experte Stefan Osche, was sich geändert hat.

Sind Erste-Hilfe-Kurse jetzt nicht mehr langweilig?

Stefan Osche: Wir haben die Kurse grundlegend verändert – mehr Praxis weniger Theorie. Die Kurse sind jetzt nur noch ein- statt zweitägig mit insgesamt 9 statt 16 Einheiten je 45 Minuten. Wir haben alles rausgeworfen, was entbehrlich ist, wie zum Beispiel detailliert erklärte Kopf- und Ellbogenverbände. Die richtig zu legen, rettet im Zweifel kein Leben. Die Kursteilnehmer sollen eher lernen, die Minuten zu überbrücken, bis der Rettungswagen kommt.

Muss man sich immer noch so viele Schritte merken?

Nein, auch das Wie hat sich verändert. Es soll nicht mehr umständlich erklärt werden, wie zum Beispiel die stabile Seitenlage funktioniert. Wird es zu kompliziert, haben viele Angst, etwas falsch zu machen, und helfen dann lieber gar nicht. So darf es nicht sein. Also erklären wir den Sinn der Übung. Erbrochenes soll nicht in den Rachen laufen, damit der Betroffene nicht erstickt. Die Atemwege müssen frei sein. Das funktioniert, wenn der Betroffene mit dem Kopf im Nacken auf der Seite liegt. Wie man das genau macht, ist im Grunde egal.

Kann man da nicht viel falsch machen?

Man kann nichts falsch machen, der einzige wirklich schlimme Fehler ist, nicht zu helfen. Es kostet immer Überwindung, jemand Fremden anzufassen, vor allem in so einer Situation. Wer sein Wissen regelmäßig in Kursen auffrischt, fühlt sich meist sicherer.

Was erwartet mich, wenn ich 112 wähle?

Es ist wichtig, den genauen Notfallort zu kennen. Es ist das Erste, wonach der Experte fragt. Machen Sie sich also vorher klar, wo sie sind. Alles Weitere wird erfragt. Wenn eine Herzmassage oder eine andere Maßnahme nötig wird, leitet der Experte über das Telefon an, bis der Krankenwagen da ist. Er gibt notfalls sogar den Takt an, in dem auf die Brust gedrückt werden soll.

Vor Kurzem hat ein 9-Jähriger seinem kleinen Bruder per Telefonanleitung das Leben gerettet. Sollten auch Kinder Erste Hilfe lernen?

Ja, beim DRK gibt es schon Kurse für Grundschüler, dort wird vor allem das Helfen an sich vermittelt und zum Beispiel, wie man ein Pflaster klebt. Wiederbelebung ist in dem Alter eigentlich noch kein Thema, weil es physisch noch nicht so gut möglich ist – aber wie man an dem aktuellen Beispiel gesehen hat, kann auch das funktionieren. Ab zwölf gibt es dann die ganze Themenpalette.

Wo sind Ersthelfer am häufigsten gefragt?

Am häufigsten sind einfache Verletzungen, die sich mit einem Pflaster versorgen lassen. Das sind wichtige Grundlagen. Die wenigsten werden jemals in die Situation kommen, jemanden wiederbeleben zu müssen. Aber zum Beispiel Herzinfarkt und Schlaganfall sind häufig auftretende lebensbedrohliche Situationen. Es ist wichtig, die Anzeichen sofort zu erkennen. Beim Herzinfarkt können das plötzlich eintretender heftiger Brustschmerz, Blässe und Schweiß auf der Stirn sein, beim Schlaganfall ein hängender Mundwinkel, verschwommene Sprache oder plötzliche Lähmung an Arm oder Bein. Jede Minute zählt, Ersthelfer sollten mutig sein und auch bei Unsicherheit 112 wählen.

Was ist zu tun, wenn jemand sich verschluckt und nach Atem ringt?

Hat ein Erwachsener sich verschluckt, sollte der Helfer ihn nach vorne beugen und ihm mit der flachen Hand bis zu fünfmal zwischen die Schulterblätter schlagen. Wenn sich der Fremdkörper nicht löst und der Betroffene zu ersticken droht, fasst der Helfer ihm von hinten mit beiden Armen um den Bauch, legt eine Faust auf den Oberbauch, umschließt sie mit der anderen Hand und zieht kräftig nach oben. Diese Technik sieht man häufig in amerikanischen Filmen. Hier war das früher verboten, aus Sorge, dass die Bauchorgane verletzt werden könnten. Aber wenn jemand droht zu ersticken, ist das die letzte Möglichkeit. Bei Kindern geht man ähnlich vor, sie sollten dabei am besten über dem Oberschenkel des sitzenden Helfers liegen und dann wird mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter geschlagen.

Und wenn das Kind statt eines Bonbons ein Geschirrspültab gelutscht hat?

Sofort die 112 wählen. Nur die Experten können genau beurteilen, was das Kind geschluckt hat und ob es gefährlich ist. Alternativ gibt es die Giftinformationszentralen. Bis Hilfe eintrifft, sollte das Kind nichts trinken. Wenn es etwa Spülmittel oder Ähnliches geschluckt hat, kann es aufschäumen und das Atmen erschweren. Muss das Kind erbrechen, sollten Eltern helfen, aber das Erbrechen nicht provozieren. Sonst könnte eventuell Ätzendes die Speiseröhre weiter schädigen.

Auf der Straße kippt jemand um. Ganz kurz: was ist zu tun?

Das Credo lautet: Prüfen, rufen, drücken! Also: prüfen, ob die Person ansprechbar ist und normal atmet. Wenn nicht, die 112 anrufen. Den Oberkörper möglichst frei machen und in der Mitte des Brustkorbs mit beiden Händen etwa 100-mal pro Minute drücken. Wer es kann und sich zutraut, sollte zusätzlich beatmen – immer nach dreißigmal drücken zweimal. Das Drücken klappt gut zum Takt von „Staying alive“.