Hamburg. Individuellere Betreuung, neue Behandlungsmethoden, kürzere Klinikaufenthalte - und Eltern, die rund um die Uhr in der Klinik bleiben dürfen

Mehr und bessere Behandlungsmöglichkeiten, kürzere Krankenhausaufenthalte, individuellere Betreuung – in der Kindermedizin hat sich in den vergangenen 25 Jahren ein großer Wandel vollzogen. So ist es heute selbstverständlich, dass ein Elternteil rund um die Uhr beim kranken Kind bleiben kann, früher eine Ausnahme. Durch schonendere Eingriffe verkürzt sich der Klinikaufenthalt. Und dank der Fortschritte der Medizin können mehr schwer kranke Kinder gerettet werden.

Als Beispiel nennt Prof. Ania Muntau, Direktorin der Kinderklinik am Universitätsklinikum Eppendorf, angeborene Stoffwechselerkrankungen. „In den vergangenen 26 Jahren hat sich der Kenntnisstand enorm gewandelt. Wenn wir damals noch sehr häufig den Eltern sagen mussten: Es tut uns leid, wir wissen nicht, was ihr Kind hat, oder wir wissen es, können aber nichts dagegen tun, so ist das heute viel seltener geworden.“ Das führte dann auch zur Erweiterung des Neugeborenenscreenings. Seit 2005 werden Neugeborene in Deutschland am dritten Lebenstag nicht mehr auf drei, sondern auf 15 genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen mit einem biochemischen Test untersucht. „Diese können wir sicher diagnostizieren und behandeln. Das ist ein Quantensprung, weil es Behinderungen und Todesfälle vermeidet“, sagt Muntau.

Ein Beispiel ist der sogenannte MCAD-Mangel, bei dem der Körper Fettsäuren nicht in Energie umwandeln kann. Das Kind ist wohlauf, solange es regelmäßig isst. Isst es aber längere Zeit nichts, sind seine Zuckerreserven aufgebraucht, Herz und Gehirn erhalten nicht mehr genug Nährstoffe, das Kind fällt ins Koma und kann innerhalb von Stunden sterben. „Die Therapie ist ganz einfach: häufig essen“, sagt Muntau. „Wir schützen die Kinder allein durch das Wissen. Das ist eine von diesen 15 Erkrankungen, und eins von 10.000 Kindern hat eine dieser 15 Erkrankungen. Bei 800.000 Geburten in Deutschland sind es jedes Jahr 80 Familien, die neu davon betroffen sind“, sagt Muntau.

Auch bei Lebertransplantationen hat sich viel verändert. Diese werden zum Beispiel nötig, wenn durch eine anatomische Veränderung die Galle nicht abfließt und sich deshalb eine Leberzirrhose entwickelt. Das Problem bis vor wenigen Jahren: „Für eine Transplantation musste das Kind mindestens zehn Kilogramm wiegen, etwa zwölf Monate alt sein. Wenn ein vier Wochen altes Baby eine neue Leber brauchte, hatte es keine Chance, weil eine Transplantation aus technischen Gründen nicht möglich war“, sagt Muntau. Heute können die Babys schon mit einem Gewicht von zwei Kilo operiert werden. Das ist auch möglich, weil man die Spenderleber teilen kann, sodass das Kind nur ein kleineres Stück Leber erhält. Dadurch können jetzt auch zwei Kinder mit einer Spenderleber versorgt werden. Außerdem gewinnt die Lebendspende mehr an Bedeutung. Durch diese Möglichkeiten sind die Chancen, eine neue Leber zu bekommen, trotz des Organspendermangels in Deutschland gut. Die Wartezeiten liegen bei sechs bis zehn Wochen. Vor 25 Jahren wurden bei Kindern überhaupt keine Lebertransplantationen vorgenommen.

Wie die Versorgung von Kindern sich verändert hat, sieht man an den Konzepten für das neue Kinder-UKE: „Es soll kein Ort sein, der Angst produziert, sondern ein Ort, der Angst reduziert und Hoffnung gibt. Es gibt nur Ein- und Zweibettzimmer. Alle haben ein Bad, neben jedem Kinderbett gibt es für einen Elternteil ein Bett, das tagsüber im Schrank verschwindet“, sagt Muntau. „Wir haben jetzt in der Kinderklinik auf manchen Stationen für 20 Zimmer eine Elterndusche, Zimmer mit bis zu vier Betten, die Eltern schlafen auf Liegen und Feldbetten“, sagt Muntau.

Im neuen Kinder-UKE gibt es viele Orte des Rückzugs. „Wir haben für drei Altersgruppen insgesamt 23 Räume, die nichts mit Medizin zu tun haben: Aufenthaltsräume, Lounges, Elternräume und eine Krankenhausschule. „Auch ein krankes Kind hat ein Anrecht auf Bildung. Deswegen wird es hier eine Krankenhausschule geben und Unterricht am Bett. Damit wollen wir erreichen, dass das gesundheitliche Handicap nicht durch ein zweites Handicap der fehlenden Schulbildung verschärft wird“, sagt die Kinderklinikdirektorin. In der jetzigen Klinik fehlten für eine Krankenhausschule die Räumlichkeiten.

Das Kinder-UKE soll auch eine Art Zuhause sein, denn es ist zuständig für die Schwerstkranken und chronisch Kranken. Alle Experten arbeiten unter einem Dach. Vorbei sind dann auch die Zeiten, in denen Mütter ihr Kind im Wagen bei Schnee und Eis über das Gelände schieben müssen, um von der Kinderklinik zur Magnetresonanztomografie zu kommen.

Die Leistenbruch-Operation ist heute ein ambulanter Eingriff

Operationen, bei denen Kinder früher lange in der Klinik liegen mussten, sind heute unkomplizierter und schneller überstanden. Ein Beispiel ist die Leistenbruch-OP: Normalerweise verschließt sich der Leistenkanal beim Kind im Mutterleib bis zur Geburt. Es kann aber vorkommen, insbesondere bei Jungen, dass sich der Kanal nicht komplett schließt. Dann kann ein Leistenbruch auftreten, der operiert werden muss; ein sehr häufiger Eingriff. „Früher mussten die Kinder nach der OP zwei Wochen im Bett liegen. Heute können Kinder, die älter als ein Jahr sind, ambulant operiert werden, sie dürfen die folgenden drei Wochen keinen Sport machen. Sie können aber schon wenige Tage nach der OP in die Schule oder den Kindergarten gehen“, sagt Prof. Konrad Reinshagen, Chef der Kinderchirurgie im UKE und im Altonaer Kinderkrankenhaus (AKK). Zudem werde jetzt auch damit begonnen, Leistenbrüche endo­skopisch, mit winzigen Schnitten in der Bauchdecke, zu operieren.

Auch bei der Blinddarmentzündung wird heute immer häufiger ein endoskopisches Verfahren eingesetzt. Vielleicht ist künftig aber auch nicht immer eine Operation nötig. „Es wird jetzt in Studien untersucht, ob eine Antibiotikatherapie eine sinnvolle Alternative sein könnte“, sagt Reinshagen. Auch die Liegezeiten nach Blinddarmentfernung haben sich enorm verkürzt: Mussten die Kinder früher noch zehn Tage im Krankenhaus bleiben, sind es heute nur noch drei Tage.

Im neuen Kinder-UKE wird es auch einen endoskopischen OP-Saal geben – zudem wird die Kinderchirurgie, zusätzlich zu der bereits bestehenden Abteilung im AKK, im UKE aufgebaut, um Patienten des Kinder-UKE auch rund um die Uhr eine chirurgische Versorgung anbieten zu können.

Große Fortschritte gibt es auch bei der Therapie von Krebs. Pro Jahr erkranken etwa 1800 Kinder und Jugendliche in Deutschland an Krebs, 120 bis 150 in der Region Hamburg. 30 Prozent der Erkrankungen sind Leukämien, 20 Prozent Hirntumoren und zehn Prozent Tumoren des Lymphsystems, sogenannte Lymphome. 40 Prozent sind andere seltenere Tumoren, zum Beispiel an den Nieren oder am Knochen. „In den 1970er-Jahren lag die Heilungsrate bei Kindern mit Krebs zwischen 20 und 30 Prozent. Die Überlebenschancen haben sich durch die Einführung der drei Säulen der Therapie – Operation, Bestrahlung, Chemotherapie – erheblich verbessert. Wir machen ständig Studien, um die Therapie weiter zu optimieren“ sagt Prof. Stefan Rutkowski, Direktor der Kinderkrebsklinik im Uniklinikum.

Am deutlichsten gestiegen sind die Heilungschancen bei einer bestimmten Form der Leukämie, der akuten lymphatischen Leukämie (ALL). Sie liegen heute bei 80 bis 90 Prozent, früher waren es 30 Prozent.

Krebstherapie ist effektiver, kann aber Spätfolgen haben

Allerdings zahlen manche Kinder für die erreichte Heilung einen hohen Preis, denn die klassische Krebsbehandlung kann auch eine Reihe von Spätfolgen haben. Dazu zählen je nach Therapie Schäden an Herz, Nieren, Lungen und Leber, hormonelle Störungen, Schwerhörigkeit, Seh- und Gedächtnisstörungen und Lähmungen. Außerdem steigt dadurch das Risiko, erneut an einem anderen bösartigen Tumor zu erkranken. Jetzt wird intensiv erforscht, wie diese Folgeschäden entstehen und wie man sie möglicherweise vermeiden könnte.

Auch in der Pflege hat sich viel geändert. „Sie ist heute wesentlich individueller auf den Patienten ausgerichtet“, sagt Anja Schienke, Stationsleitung der Kindernotaufnahme und seit 1979 am UKE. „Früher haben wir nachts die Kinder gewaschen, sodass sie zu Beginn des Frühdienstes frisch gewaschen in ihren Betten lagen. Heute würde kein Mensch mehr auf die Idee kommen, mitten in der Nacht mit dem Waschen zu beginnen“, sagt Marlies Bergers, seit 1992 Stationsleitung auf der Kinderintensiv- und der Kinderherzintensivstation, die zusammen 18 Betten haben. „Eltern werden viel mehr miteinbezogen, früher eine Ausnahme“, sagt Schienke.

In der Weiterbildung in der Krankenpflege werden neue Ansätze verfolgt. „Dazu gehört auch das Thema Humor in der Pflege. Trotz all des Leids ist es wichtig, dass wir hier auch lachen, dass wir eine positive Einstellung ausstrahlen, um den Eltern und den Kindern Hoffnung zu machen“, sagt Bergers.