Marseille. Publikum baut auch Druck auf. Das deutsche Team arbeitet mit Sportpsychologen

Fangesänge gehören zu den festen Ritualen im Stadion, sie fördern den Zusammenhalt der Zuschauer – der Mannschaft helfen sie aber nicht unbedingt. Der Sportpsychologe Bernd Strauß hat den Nutzen von Fangesängen auf den Spielverlauf untersucht.

„Dass Fangesang eine Mannschaft zum Sieg führt, ist eine weit verbreitete Annahme. Aber sie stimmt leider nicht“, sagt er. „Es kommt auf die Psyche des Spielers an, ob die Atmosphäre im Stadion als motivierend oder erdrückend wahrgenommen wird“, erklärt der Forscher. Wird der empfundene Druck auf die Spieler zu hoch, kann die wohlmeinende Unterstützung auch ins Gegenteil umschlagen.

Ein Beispiel dafür ist das 7:1 der Deutschen 2014 im WM-Halbfinale gegen Brasilien in Belo Horizonte. In Brasilien spreche man vom „Schock von Mineirão“, sagt Strauß. „Wir haben bei der Weltmeisterschaft 2006 aber auch das Gegenteil beobachten können. Der Druck auf die deutsche Mannschaft im eigenen Land war gewaltig“, sagt Strauß. Dem Team gelang es aber, den Druck in positive Motivation umzusetzen. Strauß führt den Erfolg auf die Arbeit von Hans-Dieter Herrmann zurück. Der Sportpsychologe arbeitet seit 2004 mit der deutschen Nationalmannschaft. Er bereitet die Spieler darauf vor, mit den an sie gesetzten Erwartungen optimal umzugehen.

Während das Liederbuch von Europas Fußballvereinen gut gefüllt ist, haben Nationalmannschaften selten ein festes Repertoire von Kurvenliedern und Schlachtgesängen, sagt Bromberg. „Lokale Klubs haben eine eingespielte Fangemeinde, viele Lieder habe eine lange Tradition. Das Publikum bei internationalen Turnieren ist viel durchmischter“, sagt der französische Ethnologe Christian Bromberg.

Engländer gesangssicher, Franzosen wenig charmant

Englische und irische Fußballfans seien auch international gesangssicher, die italienischen Fans setzten bei ihrer Stadionperformance auf viel Farbe und Fahnenschwenken, sagt Bromberger. Frankreich wiederum sei Spezialist auf dem Gebiet der Schlachtrufe. „Meistens richten sich die Rufe gegen das gegnerische Team und sind wenig charmant.“

Wie aber soll sich nun der ideale Fan im Stadion verhalten? Fußballfans sollten keineswegs aufhören, ihre Mannschaft singend zu unterstützen, betont Strauß. Die Fanpsyche, sagt er, sei eben voller Optimismus – bis hin zu irrationalen Erwartungen. „Genau das macht das Fansein auch aus.“