Hamburg. Likes, Online-Petitionen und Internet-Kampagnen täuschen darüber hinweg, dass das Engagement im Internet selten nachhaltig ist.

Die Generation Y wird gerne als eine Generation von Spießern dargestellt. Die Ypsiloner wollen Kinder, ihr eigenes Häuschen gestalten und am Wochenende veganen Kuchen backen. Von Auflehnung gegen das System, gegen politische Umstände oder gar von Protest könne keine Rede sein. Soweit das Vorurteil.

Politisch interessiert: eher ja – politisch engagiert: eher nein

Wo ist er, der politische Wille der Generation Y? Lähmen sich die Ypsiloner in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit selbst?

Zuletzt bescheinigte der Jugendforscher Klaus Hurrelmann der Generation in der Shell-Jugendstudie von 2015 zwar wieder ein gewachsenes politisches Interesse als in den vergangenen Jahren. Immerhin 41 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, politisch interessiert zu sein – 2002 waren es noch 30 Prozent.

Politisch aktiv zu werden gehört aber eher für einen kleinen Teil der Generation Y zum Lebensentwurf. „Die Mehrheit bleibt politisch passiv“, sagt zum Beispiel Beate Großegger, die das Institut für Jugendkulturforschung in Wien leitet und sich auch über die Grenzen Österreichs hinaus mit dem Verhältnis zwischen Jugend und Politik beschäftigt.

Beate Großegger leitet das Institut für Jugendkulturforschung in Wien
Beate Großegger leitet das Institut für Jugendkulturforschung in Wien © Privat/Beate Großegger

Die Generation halte sich zwar über tagesaktuelle Themen informiert, so die Expertin. Das bedeute aber nicht, dass sie auch für ihre Überzeugungen eintrete. Auf dem Weg zur Schule, Universität oder Arbeit Nachrichten auf dem Smartphone lesen, darauf beschränkt sich die Politik für den Großteil der Generation Y.

„Politisch engagiert zu sein ist in dieser Generation nicht einmal ein großes Ideal“, so Großegger weiter. Der aktuelle Generationenmonitor des Instituts für Jugendkulturforschung zeigt, dass lediglich 3,4 Prozent der 16- bis 29-Jährigen ihre persönliche Lebensweise als gesellschaftspolitisch engagiert beschreiben.

Eingeschränktes Politikverständnis: Was sind die Gründe?

Also ist die Generation, was Politik betrifft, völlig lethargisch? Eines steht fest: Parteien spielen für die Generation keine Rolle. „Junge Menschen fühlen sich mit ihren Anliegen alles in allem schlecht vertreten“, erklärt Beate Großegger.

Dem stimmt auch Roman Ebener zu. Der 29-Jährige arbeitet für die Online-Plattform abgeordnetenwatch.de, die Abgeordnete und Bürger im Netz näher zusammen bringen will. „Ich werde regelmäßig enttäuscht, von allen Parteien“, sagt er.

Deshalb konnte er sich auch nie wirklich vorstellen, in eine Partei einzutreten. „Die einzige Partei, die mich je interessiert hat, waren die Piraten. Da hat mich aber abgeschreckt, wer alles versucht hat, sich unter dem Deckmantel der Piraten zu versammeln. Deswegen habe ich wieder Abstand genommen“, so Ebener weiter.

Aber neben der grundlegenden Ablehnung, die die Generation Y gegen Parteien verspürt, gibt es noch andere Gründe, warum politisches Engagement für viele gar keine Option ist: „Es gibt viele junge Leute, die von der Komplexität der Dinge gefrustet sind und das Gefühl haben, alleine nichts zu schaffen“, so Ebeners Einschätzung. Aus dem Frust heraus würden sie sich abkapseln und von politischen Entwicklungen distanzieren. Ihre Strategie sei es, stattdessen die eigene politische Verantwortung abzugeben und auf jemanden zu übertragen, der sich einsetzt.

Auch Großegger bestätigt: „Für Veränderungen sorgen, sollen andere. Die Weltrevolution selbst in die Wege zu leiten steht bei der Generation Y nicht auf dem Plan“.

Wie sieht politisches Engagement in der Generation Y also aus?

Abseits von Parteien scheint es um das politische Engagement der Generation besser bestellt zu sein. Es gibt sie doch, die politisch aktiven Ypsiloner. In der Shell-Jugendstudie zum Beispiel heißt es optimistisch, dass die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, gestiegen sei. Doch wie sieht dieses Engagement abseits großer etablierter Organisationen und Institutionen aus?

Zum Beispiel so wie bei abgeordnetenwatch.de. In den Büroräumen im Hamburger Mittelweg ist es ein bisschen chaotisch, das Team verpackt gerade Tassen, die an Unterstützer verschickt werden sollen. Für die Initiative arbeiten zum Großteil junge Leute unter 30, fast alles Ypsiloner also.

Das Hauptziel der Initiative ist es, Menschen näher zur Politik zu bringen. Auf abgeordnetenwatch.de können Bürgerinnen und Bürger die Abgeordneten im Bundestag, dem Europäischen Parlament sowie in zahlreichen Landesparlamenten öffentlich befragen. „Wir wollen die einzelnen Bürger in ihren demokratischen Entscheidungen unterstützen“, sagt Roman Ebener. Transparenz im politischen System schaffen, den Einfluss von Lobbyisten auf Parteien offenlegen – die Ziele der Organisation passen gut in das Bild, das Jugendforscher von der Generation zeichnen.

Wenn Roman Ebener das politische Engagement seiner Generation beschreiben soll, sagt er: „Da wo ich mich bewege, in meiner eigenen Blase, bemerke ich ein hohes Verantwortungsbewusstsein, ein hohes Bewusstsein dafür, dass es so nicht weitergehen kann.“ Und der Weg zur Veränderung gehe für die Generation über Bewegungen, so der Aktivist Ebener, seien es Demokratie-, Umwelt- oder Lokalbewegungen.

Video: Die Generation Y im Vorurteils-Check

Und die Wiener Jugendforscherin Großegger stellt fest, dass in der Generation Y Engagement wie auch Protest zum Event werden. „,Auffallen, um politisch wahrgenommen zu werden’ ist das Motto“, so die Wissenschaftlerin. Wie zum Beispiel 2014 bei den Hamburger „Klobürstenprotesten“. Nach Ausschreitungen rund um das autonome Kulturzentrum Rote Flora hatte die Polizei das Schanzenviertel sowie Teile von St. Pauli und Altona zum Gefahrengebiet erklärt. Gegen diese Entscheidung formierte sich schnell Widerstand, die Klobürste wurde zum Zeichen des Protests. Mit Erfolg – nach neun Tagen wurde die umstrittene Maßnahme seitens der Polizei wieder aufgehoben.

Das Problem bei solchen „eindrucksvollen Ad-hoc-Initiativen“, wie Beate Großegger sie nennt, ist jedoch, dass es in der Regel nicht zu einer längerfristigen Bindung von Beteiligten an politische Ziele komme.

Chancen und Risiken im Netz

Politisch aktiv zu werden bedeute, Teil einer Thematisierungsbewegung zu sein und auf Missstände aufmerksam zu machen. Dabei spielt das Internet eine wichtige Rolle. Politische Statements in sozialen Netzwerken teilen, Online-Petitionen unterzeichnen oder eine politische Institution auf Facebook liken – die Hürden für politische Involvierung sind niedrig.

Dabei geht es Beate Großegger zufolge auf der einen Seite oft um bloße Selbstdarstellung. Auf der anderen Seite seien das Internet und die sozialen Netzwerke aber auch eine wichtige Basis für Aktivisten, die im Netz relativ große Bevölkerungsgruppen für eine Spontanbeteiligung an einer ausgerufenen Aktion erreichen könnten.

Spontan war zum Beispiel die Demonstration gegen sexualisierte Gewalt, die die 21-Jährige Laura Stöckmann nach den Vorfällen in Köln über Facebook organisiert hat. „Heute morgen habe ich mich gefragt, warum noch keine Demonstration angekündigt wurde und kurzerhand selbst eine Veranstaltung erstellt“, beschreibt die Initiatorin ihre Motivation auf der Facebook-Seite der Demonstration.

Online-Petitionen: Der Protest ist oft nicht nachhaltig

Kurzfristig viele Menschen dazu zu bringen, aktiv zu werden, ist durch die Möglichkeiten im Internet einfacher geworden. Das sagt auch Roman Ebener von abgeordnetenwatch.de. Gleichzeitig besteht für ihn darin aber auch eine Gefahr: „Wenn eine große Welle durch das Netz geht und jeder sich mit dem Thema beschäftigt, dann sind alle eine Zeit lang sensibilisiert, aber es hat noch keine Folgen für die Gesellschaft“, so der Aktivist. Denn selten schlage sich solch kurzlebiger Protest in Gesetzesentwürfen nieder.

Ein Statement abgeben – ohne sich zu etwas Größerem zu verpflichten, das sei typisch für die Generation Y, bestätigt Beate Großegger. Dazu passen zum Beispiel die vielen Profilbilder auf Facebook, über die sich nach den Anschlägen im November 2015 in Paris die Farben der Trikolore legten. Ein Zeichen der Solidarität mit Paris – auf lange Sicht aber ohne größere Bedeutung.

Auch Online-Petitionen gehen in diese Richtung. Laut der Shell-Jugendstudie gehört das Unterzeichnen von Petitionen zu den Aktivitäten, die die Generation mitunter am häufigsten unter politisches Engagement verbucht. Eine Onlinepetition zu unterschreiben hat zunächst keine weiteren Folgen und passt somit zur kurzfristigen Involviertheit der Generation Y in den politischen Prozess. Oft sind es deshalb auch populistische Themen, wie etwa die Petition zur Absetzung der Sendung „Markus Lanz“ oder die Petition gegen die GEZ-Gebühren, die Hunderttausende Unterstützer sammeln. Auf die Straße gehen würden die Ypsiloner für diese Themen aber vermutlich niemals, denn sie wissen, dass das keine rational begründeten politischen Ziele sind.

Politisch korrekter Konsum ist populär

Es bleibt wohl die Sache von Einzelnen, politisch wirklich aktiv zu werden. Der Rest der Generation hält sich eher an seine neo-spießige Welt. Ein Indiz dafür: Die wirklich populäre Variante, wie sich die Generation politisch auszudrückt, ist der politisch korrekte Konsum. Das sagen sowohl die Shell-Jugendstudie als auch Beate Großegger. „Über Konsumhandlungen schnell mal ein politisches Statement zu setzen und dann zur Tagesordnung überzugehen und sich mit voller Energie wieder politikfreien Alltagsbereichen zuzuwenden, das ist typisch für die Generation Y“, so Großegger.