borstel. Forscher haben Tuberkulose-Bakterien entdeckt, die sogar gegen neue Medikamente immun sind. Ihre Studie könnte helfen, Resistenzen vorzubeugen

Das Thema Antibiotikaresistenz ist aus den Schlagzeilen nicht mehr wegzudenken. Immer häufiger müssen Ärzte auf sogenannte Reserveantibiotika zurückgreifen, um Patienten zu behandeln, bei denen gängige Mittel nicht mehr helfen. Auch an der Entwicklung neuer Medikamente wird gearbeitet, um Keime, die gegen immer mehr Wirkstoffe immun zu werden scheinen, in den Griff zu bekommen.

Tuberkulosekeime haben sich als besonders hartnäckig erwiesen. Bei einem Patienten mit der oft tödlich verlaufenden Lungenkrankheit wies ein Team aus Wissenschaftlern unter der Leitung des Forschungszentrums Borstel jetzt einen Bakterienstamm nach, der sogar gegen neu zugelassene Antibiotika resistent ist. Die Forscher untersuchten die Ursache und hoffen auf eine Chance, Resistenzen künftig vorbeugen zu können.

Veränderungen im Erbgut der Erreger führen zu schneller Anpassung

Der Fall begann mit einem jungen Flüchtling aus Tibet, der in Zürich bereits 2011 erstmals mit Tuberkulose ins Krankenhaus kam. Weil Untersuchungen ergaben, dass die gefundenen Keime gegen sieben Antibiotika resistent waren, und weil der Patient trotz umfangreicher Therapie mehrere Rückschläge erlitt, erhielt er in den folgenden drei Jahren nicht nur zehn weitere Antibiotika, sondern zusätzlich zwei Medikamente, die erst im Mai 2014 offiziell zugelassen wurden: Bedaquilin und Delamanid. Es waren die ersten neuen Antibiotika gegen Tuberkulose seit 1995.

Die damit verbundenen Hoffnungen erhielten jedoch bald einen Dämpfer: Ende 2014 berichteten Forscher aus Zürich, dass die TB-Keime des tibetischen Patienten gegen Bedaquilin unempfindlich geworden waren; wenig später stellte das Referenzlabor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Tuberkulose in Gauting fest, dass die Bakterien auch unempfindlich gegen Delamanid waren. Gemeinsam mit Kollegen vom Forschungszentrum Borstel fanden die Wissenschaftler schließlich heraus, was die Ursache für die Resistenz ist: Das Erbgut des TB-Keims hatte sich verändert.

Neue Verfahren sollen Resistenzen schneller entdecken

Die Ergebnisse, die jetzt im „American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine“ veröffentlicht wurden, verdeutlichen zweierlei: „Auch die jüngsten Medikamente können durch Veränderungen im Erbgut des Erregers schnell unwirksam werden“, sagt Prof. Stefan Niemann, der die Untersuchungen leitete. „Deshalb müssen wir alles daransetzen, um durch eine optimale Behandlung und Diagnostik die Verbreitung von solchen Keimen zu verhindern.“

Der Molekularbiologe ist stellvertretender Leiter des in Borstel angesiedelten deutschen Referenzzentrums für Mykobakterien, zu denen auch Tuberkuloseerreger zählen. Niemann und seine Kollegen untersuchen etwa 12.000 Proben pro Jahr, um Mykobakterien nachzuweisen, und sie arbeiten an neuen molekularbiologischen Verfahren, mit denen künftig schneller als bisher Resistenzen gegen TB-Antibiotika entdeckt werden sollen.

Denn mit dem herkömmlichen Verfahren, bei dem der Keim in einer Zellkultur verschiedenen Antibiotika ausgesetzt wird, kann es zwei bis drei Wochen dauern, bis ein klarer Befund vorliegt. Währenddessen wird der Patient womöglich vergeblich mit bestimmten Antibiotika behandelt, und es steigt die Gefahr, dass der Erkrankte andere Patienten in der Klinik infiziert, weil er nicht isoliert wird – und dabei auch jene Keime weitergibt, die gerade erst neue Resistenzen entwickelt haben. Dass krankheitserregende Bakterien unempfindlich gegen mehrere Antibiotika werden, ist ein Phänomen, das Forscher bereits seit mehreren Jahrzehnten beobachten. Erst seit Kurzem allerdings gibt es Studien über Keime, die gegen fast alle verfügbaren Wirkstoffe resistent sind.

Nach Angaben der WHO infizierten sich im Jahr 2014 rund 9,6 Millionen Menschen mit TB-Keimen; 1,5 Millionen Menschen starben infolge der Erkrankung. Die Bakterien sind längst nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern ein ernst zu nehmendes Problem, sondern auch in einigen östlichen Staaten der EU. In Deutschland gab es laut Robert Koch-Institut im Jahr 2015 mehr als 5000 Fälle; aus Hamburg wurden 182 TB-Infektionen gemeldet.

Hoffnung auf eine Möglichkeit, Resistenzen zu umgehen

Stefan Niemann und seine Kollegen in Borstel nutzen für ihre molekulargenetischen Untersuchungen von Mykobakterien sogenannte NGS-Geräte (Next-Generation Sequencing), die modernsten Apparate für die Genomanalyse. Das so entschlüsselte Erbgut des Keims, der von dem Tibeter stammte, verglichen die Forscher mit Erbgut eines Tuberkuloseerregers, der empfindlich für Antibiotika ist. So stießen sie auf bis dahin unbekannte Mutationen, die sie mit der Resistenz gegen die beiden neuen Antibiotika in Verbindung bringen.

Konkret machten die Wissenschaftler ein verändertes Protein aus dem Flavinstoffwechsel als Ursache aus. Flavin ist ein Stoff, der für das Aktivieren des Antibiotikums nötig ist. Vielleicht hilft diese Erkenntnis künftig, die Resistenz zu umgehen. „Eine Option wäre etwa, Patienten das Flavin zusammen mit den Wirkstofftabletten zu verabreichen und somit einer Resistenzentwicklung vorzubeugen“, sagt Niemanns Kollege Harald Hoffmann. „Ob das funktioniert, müssen weitere Laborversuche zeigen.“

Auswertung von Keimerbgut soll vereinfacht werden

Um das Erbgut des extrem resistenten TB-Keims zu entschlüsseln und die besagte Mutation auszumachen, brauchten die Forscher um Stefan Niemann nach eigenen Angaben drei Tage. Bisher sei die Interpretation der Daten so komplex, dass sie nur in wenigen Speziallaboren stattfinde, so Niemann. Künftig soll die Auswertung so vereinfacht werden, dass sie in vielen Laboren möglich ist. Die Forscher in Borstel wollen zudem eine Datenbank aufbauen, in der alle bekannten Veränderungen im TB-Erbgut aufgeführt werden, die Resistenzen bewirken können.

Der in der Schweiz behandelte Tibeter konnte seine Krankheit übrigens schließlich doch noch besiegen, weil sich einige wenige verbliebene Antibiotika als wirksam erwiesen. Allerdings mussten die Ärzte dem Patienten einen Teil der Lunge entfernen, der von den Bakterien befallen war. Inzwischen habe sich der junge Mann erholt, heißt es.