Berlin. In Deutschland gibt es immer weniger Schmetterlinge, Bienen oder Schwebfliegen. Experten nennen mehrere Insektizide als Ursache.

Die Ausbeute in den Untersuchungsfallen wurde von Jahr zu Jahr kleiner. Zum Schluss waren es nicht einmal mehr 300 Gramm Insekten, die Naturschützer in Nordrhein-Westfalen im Auftrag des Naturschutzbundes (Nabu) aus ihren Fallen sammelten. Ihr verheerendes Untersuchungsergebnis: Die Biomasse von Insekten wie Schmetterling, Biene oder Schwebfliege ist in NRW in den vergangenen 15 Jahren um bis zu 80 Prozent zurückgegangen.

Beängstigend, nennt der Landesvorsitzende des Nabu Nordrhein-Westfalen, Josef Tumbrinck, die Beobachtungen, die er in dieser Woche auch im Umweltausschuss des Bundestages vorgestellt hat. „Wenn uns die Fluginsekten fehlen, gerät die gesamte Nahrungskette in Gefahr: Blumen und Bäume werden nicht mehr bestäubt, und Mauerseglern und Schwalben fehlt die Nahrungsgrundlage.“

Bereits seit vielen Jahren geht die Zahl der Insekten in Deutschland stetig zurück. Als Gründe nennen Experten die Veränderung des Lebensraums durch Bebauung und landwirtschaftliche Nutzung. Dieser langfristige Schwund werde jedoch von einem noch stärkeren Rückgang seit Ende der 90er-Jahre überlagert, sagt Tumbrinck. Weder der Klimawandel noch die Veränderung der Landschaft seien dafür verantwortlich, „sondern die sogenannten Neonicotinoide“. Das legten Studien nahe. Diese Stoffklasse wird in der Landwirtschaft und in Gärten als Insektenbekämpfungsmittel eingesetzt. Zwar hat die Europäische Union drei von ihnen mit einem Moratorium belegt – sie dürfen also zurzeit nicht eingesetzt werden –, doch es gibt andere, wie etwa Thiacloprid.

Denn entscheidend bei der Bewertung eines Insektizids ist die tödliche Dosis, der LD50-Wert. Er besagt, ab welcher Dosis 50 Prozent der Tiere innerhalb von 24 Stunden sterben. „Doch die Folgen können viel langfristiger sein“, sagt Professor Randolf Menzel von der Freien Universität Berlin. So verlieren die Honigbienen bereits bei einer Belastung von 50 Nanogramm Thiacloprid ihre Fähigkeit zu navigieren, und ihr Gedächtnis ist beeinträchtigt. Zudem wird auch ihre Immunabwehr geschwächt. All das macht die Honigbienen auf Dauer anfällig für äußere Einflüsse wie die Varroamilbe oder schlechtes Wetter. Unmittelbar tödlich ist Thiacloprid für ein Tier erst bei 14.000 Nanogramm.

Doch das Bewusstsein für das Sterben der Insekten, vor allem der Honigbiene, wird größer. So haben einige große Baumarkt- oder Gartencenterketten wie Obi, Hornbach oder Bauhaus einzelne Produkte aus dem Sortiment genommen, wie eine Umfrage von Greenpeace aus dem vergangenen September zeigt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist auf die Märkte zugegangen und hat sie beraten. Auch bei der Suche nach Alternativen zu den Pestiziden.

Das Insektensterben ist ein gesellschaftliches Problem, sagt Neurobiologe Randolf Menzel: „Wir müssen uns die Frage stellen: In welcher Umwelt möchten wir leben? In einer von Menschen gemachten, in der Pflanzen nur noch in Gewächshäusern entstehen?“ Randolf leitet als emeritierter Professor eine neurobiologische Arbeitsgruppe an der Freien Universität Berlin und erforscht dort auch das Verhalten der Honigbiene. Sie ist eines von vielen bestäubenden Insekten, deren Zahl in Deutschland beständig zurückgeht. „Dabei ist die Honigbiene noch das robusteste unter den bestäubenden Insekten, weil sie im Menschen einen Verbündeten hat und sozial lebt“, erklärt Menzel. Anders ist es bei der Wildbiene, bei Schmetterlingen, Hummeln oder Schwebfliegen. Es gibt keine Imker, die ihren Bestand schützen, und sie haben kein Volk, das ihnen Schutz gibt. Dabei werde auch immer vergessen, welchen ökonomischen Wert die Bestäubungsarbeit der Insekten habe: „Es ist ein Milliardenmarkt.“

Vorsorglichen Einsatz von Pestiziden verbieten

Landwirte bemängeln in der Diskussion um den Einsatz der Schädlingsbekämpfungsmittel jedoch die fehlenden Alternativen. „Natürlich dürfen wir sie damit nicht allein lassen“, bestätigt Menzel. Doch zwei Dinge müssten sich verändern: einerseits die Monokultur, in der Jahr für Jahr die gleichen Pflanzen auf den gleichen Flächen angebaut werden. In der Schweiz beispielsweise sei das gesetzlich verboten, erklärt Menzel. Mehrere Jahre müssten zwischen dem Anbau der gleichen Pflanze auf einem Acker liegen. Andererseits müsse der vorsorgliche Einsatz von Pestiziden verboten werden, bevor überhaupt ein Schädling ein Bein auf den Acker gesetzt hat. „Das ist nicht akzeptabel.“