Bozen/Hannover. Erkenntnisse über Gletschermumie lassen auf eine komplexe Besiedlungsgeschichte Europas schließen

Der Gletschermann Ötzi war mit dem Magenkeim Helicobacter pylori infiziert, der Magengeschwüre und Magenkrebs verursachen kann. In einer extrem aufwendigen Untersuchung hat ein internationales Forscherteam mit deutscher Beteiligung den Erreger nicht nur nachgewiesen, sondern auch sein komplettes Genom entschlüsselt.

Demnach hatte Ötzi eine aggressive Variante des Bakteriums. Überraschenderweise ähnelt der gefundene Stamm Varianten, die heute in Mittel- und Südasien kursieren. Daraus leitet das Team im Fachblatt „Science“ Rückschlüsse über Wanderungsbewegungen von Homo sapiens nach Europa ab. Die etwa 5300 Jahre alte Gletschermumie war 1991 in den Ötztaler Alpen im Grenzgebiet von Italien und Österreich gefunden worden. Seitdem analysieren Forscher alle Details des ungewöhnlich gut konservierten Fundes – vom Erbgut des Mannes über seine Kleidung bis hin zum Gesundheitszustand.

Nun wiesen die Forscher nach, dass Ötzis Magen mit dem Bakterium Helicobacter pylori (HP) infiziert war. Heute trägt etwa die Hälfte aller Menschen diesen Keim, der in der Magenschleimhaut lebt und den Menschen vermutlich schon seit mindestens 100.000 Jahren begleitet. Zehn Prozent der Infizierten entwickeln Probleme wie Magengeschwüre, Magenentzündungen oder Magenkrebs.

Die Genanalyse eines über 5000 Jahre alten Keims ist ein Durchbruch

Allein die Tatsache, dass die Forscher das Genom des mehr als 5000 Jahre alten Magenkeims rekonstruieren konnten, wertet der Mikrobiologe Professor Sebastian Suerbaum von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) als technologischen Durchbruch. Suerbaum war nicht an der Untersuchung beteiligt.

„Es war sehr unwahrscheinlich, etwas zu finden, da Ötzis Magenschleimhaut nicht mehr vorhanden ist“, betont auch der Paläopathologe Albert Zink von der Universität Wien, einer der Studienleiter. Letztlich analysierten die Forscher die Gesamt-DNA des Mageninhalts.

Überraschenderweise trug Ötzi nicht jene HP-Variante, die die heutigen Europäer tragen. Stattdessen ähnelt der Typ jenen Stämmen, die heute in Mittel- und Südasien vorkommen. Forscher glauben, dass es ursprünglich einen afrikanischen und einen asiatischen HP-Stamm gab, die sich irgendwann zum heutigen europäischen Stamm vermischten. „Bislang vermutete man, dass die Menschen der Jungsteinzeit, die sesshaft wurden und begannen, Ackerbau zu betreiben, diesen europäischen Stamm bereits mitbrachten“, sagt Maixner. „Ötzi lehrt uns, dass dies nicht der Fall war. Die Vermischung der beiden Helicobacter-Stämme hat somit vermutlich erst nach Ötzis Zeit stattgefunden, was zeigt, dass die Besiedlungsgeschichte Europas viel komplexer ist als angenommen.“

Suerbaum spricht von einer beeindruckenden technologischen Leistung des Forscherteams. „Dies ist ein wichtiger Baustein zur Rekonstruktion von Wanderungsbewegungen von Helicobacter pylori mit dem Menschen“, betont er. Allerdings handele es sich um einen Einzelbeobachtung, die nur begrenzte Schlüsse erlaube. „Ich befürchte, dass wir nicht viele vergleichbare Fälle haben werden“, sagt Suerbaum – „so viele Ötzis gibt es nicht.“