Berlin. Die Bilder der Anschläge von Paris können Kindern Angst machen. Eltern sollten die Sorgen ernst nehmen – und dürfen dabei auch lügen, sagen Experten

Seit Freitagabend gibt es in Zeitungen, sozialen Netzwerken und Rundfunknachrichten nur ein Thema: Die Anschläge in Paris mit mindestens 129 Toten und mehr als 350 Verletzten. Immer wieder fällt das Wort Krieg, die Bilder zeigen Trauer, Angst und Wut. Auch Kinder und Jugendliche kommen an diesen Bildern nicht vorbei. Wie Eltern mit den Ängsten ihrer Kinder umgehen können, erklären Maria Große Perdekamp, Leiterin der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, und Isabella Heuser, Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité in Berlin.

Offenheit – aber nicht zu viel

Es gibt eine Faustregel: Je älter ein Kind ist, desto ehrlicher können Eltern über Ereignisse wie die in Paris sprechen. „Bei jüngeren Kindern sollte man zwar so nah wie möglich an der Wahrheit bleiben, ihnen aber keine unnötige Angst machen“, sagt Isabella Heuser. Wären Eltern ehrlich, müssten sie sagen: Das, was in Paris passiert ist, kann theoretisch jeden treffen und immer wieder passieren. „Ein jüngeres Kind könnte diese Informationen nicht verarbeiten“, so Heuser. Eine Lüge ist also erlaubt, in dem man etwa sagt: Zu Hause bist du sicher. „Das ist natürlich Vorgaukeln von falscher Sicherheit, aber in diesem Fall ist es legitim“, sagt Maria Große Perdekamp.

Mögliche Erklärungsmuster

Kurz vor der Einschulung, ab etwa fünf oder sechs Jahren, abhängig von der Entwicklung des Kindes, nehmen Kinder Ereignisse wie die in Paris bewusster wahr, gucken zum Beispiel Kindernachrichten. „Dann sollten Eltern und Erzieher versuchen, anschaulich zu erklären, und einfache Erklärmuster verwenden“, sagt Große Perdekamp.

Ein Beispiel: Terroristen sind Menschen, die nicht damit einverstanden sind, was die Regierung macht. Sie versuchen sich mit Gewalt durchzusetzen. Das ist böse. Aber die Polizei ist bereits auf der Suche nach den bösen Männern, und viele sind schon im Gefängnis. „Je jünger die Kinder sind, desto wichtiger ist es, dass es ein gutes Ende gibt“, sagt Heuser. Und bei allen Erklärungen sei der entscheidende Satz: „Dir wird nichts passieren, weil wir alle aufeinander aufpassen“. Ganz wichtig: Eltern sollten betonen, dass das Kind im Kindergarten oder in der Schule sicher ist.

Der richtige Zeitpunkt

Ob Eltern die Situation von sich aus ansprechen oder darauf warten sollten, ob ihre Kinder Fragen stellen, sei situationsabhängig, sagt Große Pedekamp. „Kleine können ihre Erschütterung nicht immer in Worte fassen, wenn Eltern aber beobachten, dass sie die Bilder fasziniert anschauen, sollten sie das Thema auch von sich aus ansprechen.“ Isabella Heuser rät Eltern, Kindern das Thema nicht aufzuzwingen: „Erst wenn das Kind von alleine kommt oder die Eltern merken, dass ihr Kind verunsichert ist, sollten sie ein Gespräch anfangen.“

Gespräch mit Jugendlichen

Ein guter Anknüpfungspunkt, um das Gespräch auch mit jugendlichen Kindern zu beginnen, kann etwa das Thema Fußball sein. „Dass so ein Ereignis so eng mit ihrem Hobby verbunden ist, schockiert viele Kinder und Jugendliche“, so Große Perdekamp. Hier könnten Eltern ansetzen und fragen, wie die Kinder etwa zu Politik und Integration stehen. Doch auch bei Jugendlichen gilt: Man sollte sie auf keinen Fall zu einem Gespräch drängen. „Eltern sollten einfach vermitteln: Wir sind da, wir hören dir zu.“

Der Medienkonsum

„Eltern sollten die Berichterstattung zusammen mit ihren Kindern schauen und auf altersgerechte Formate achten“, sagt Kristin Langer, Mediencoach der Initiative Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht. Kommt das Kind jedoch ins Zimmer, während die Eltern Nachrichten sehen, sollten diese nicht umschalten. Stattdessen könnten die Eltern die Bilder kommentieren. „Wenn es zum Beispiel Bilder von Verletzten sieht, können Eltern darauf eingehen und erklären: ‚Den Verletzten wurde sofort geholfen, die sind jetzt alle im Krankenhaus und werden versorgt‘“, so Große Perdekamp.

Die Angst der Eltern

Auch Erwachsenen machen die Ereignisse von Paris Angst. Doch das sollten sie nicht zeigen und auch ihre Routinen nicht verändern, indem sie das Kind zum Beispiel nun wieder zur Schule begleiten oder nicht mehr alleine U-Bahn fahren lassen. „Routine ist etwas sehr Beruhigendes. Wird sie geändert, erhöht das bei Kindern nur die Anspannung“, erklärt Heuser.

Nur wenn das Kind konkret Angst hat, können Eltern Maßnahmen anbieten, die das Kind beruhigen. Manchmal reicht eine Umarmung, die dem Kind zeigt, dass die Eltern es beschützen. „Wenn das Kind zum Beispiel Angst hat, wenn die Eltern abends auf ein Konzert gehen, können diese etwa anbieten, in der Pause anzurufen.“ Das sollte jedoch nicht auf Dauern sein.

Der Weihnachtsmarkt

Wollen Kinder jetzt nicht mehr auf den in den Nachrichten als mögliches Anschlagsziel immer wieder genannten Weihnachtsmarkt, könne man ihnen das wie den Straßenverkehr erklären, schlägt Große Perdekamp vor: „Es kann zwar immer etwas passieren, aber wenn man gut aufpasst, ist es nicht so gefährlich.“ Von einem totalen Rückzug rät sie ab.

Heuser rät, die Kinder und Jugendlichen nicht zu zwingen. „Man kann sich auch langsam annähern, indem man zum Beispiel in den Zoo geht. Das Gute ist jedoch: Kinder vergessen sehr schnell, wenn man ihnen Schutz gibt.“