Hamburg. Zwei Hamburger Experten erklären, welche Mechanismen hinter einer solchen Furcht stecken können und wie es gelingt, sie zu überwinden.

Der Strom der Flüchtlinge nach Europa reißt nicht ab. Zurzeit kommen pro Tag etwa 10.000 nach Deutschland. Während ein Teil der Bevölkerung die Menschen freundlich empfängt, häufen sich fremdenfeindliche Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte. In der Diskussion um den Umgang mit Flüchtlingen kochen die Emotionen hoch. Zwei Hamburger Psychiater äußern sich dazu, wie es aus psychologischer Sicht zur Angst vor Fremden kommt.

„Sie gehört wie viele andere Ängste auch zu den Urängsten des Menschen“, sagt Prof. Claas-Hinrich Lammers, Ärztlicher Direktor der Psychiatrie in der Asklepios Klinik Nord-Ochsenzoll. „Angst ist eine grundsätzliche Eigenschaft des Menschen, die evolutionsbiologisch und -psychologisch sinnvoll ist und vor Gefahren schützt. Diese Ängste sind zum Teil fest im Gehirn verdrahtet. Das heißt, jeder Mensch reagiert auf bestimmte Situationen erst mal mit Angst. Das bezieht sich sicherlich auch auf Formen des Zusammenlebens. Auf jeden Fall hat ein Mensch die Neigung, Gruppen zu bilden, und bemüht sich darum, Gruppen zusammenzuhalten, weshalb er auf Fremde instinktiv mit einer gewissen Angst reagiert“, sagt Lammers.

Es sei allerdings falsch, daraus den Schluss zu ziehen, nur weil ein Mensch von seinem Instinkt her in Gruppen leben möchte, habe er damit auch das Recht, andere auszugrenzen. „Denn der Mensch ist seinen Instinkten nicht hilflos ausgeliefert, sondern hat eine soziokulturelle Entwicklung durchlaufen, die ihn in die Lage versetzt, solche Gefühle zu kontrollieren“, sagt der Psychiater. Es sei allerdings auch falsch, so zu tun, als dürfe es diese Ängste nicht geben, und sie als unmoralisch zu verurteilen.

Eine Mischung aus unmittelbar instinktiven Reaktionen und bewussten Einstellungen

Lammers verweist auf amerikanische Studien, in denen Forscher untersucht haben, ob Menschen rassistisch sind. Als Studienteilnehmer wurden insbesondere hellhäutige Menschen ausgewählt, die sich ausdrücklich für eine multikulturelle Gesellschaft ausgesprochen und die Meinung geäußert hatten, dass die Hautfarbe eines Menschen für sie überhaupt keine Rolle spiele. „Mit speziellen Messungen wurden ihre unbewussten Reaktionen getestet. Und dabei stellte sich heraus, dass sie gegenüber dunkelhäutigen Menschen eine etwas ängstlichere Reaktion zeigten als gegenüber hellhäutigen. Das heißt, wenn man sich die Einstellung von Menschen anschaut, so ist das immer eine Mischung aus unmittelbar instinktiven Reaktionen, wie Vorbehalten gegen das Fremde, Unbekannte, und ganz bewussten Einstellungen, welche den instinktiven Reaktionen durchaus entgegengesetzt sein können“, sagt Lammers.

Und daran wird sich seiner Meinung nach auch nichts ändern. „Ein gewisses Maß an Angst vor Fremden halte ich für einen natürlichen Reflex, den man niemandem vorwerfen kann“, sagt der Psychiater. Die Frage sei nur, was man daraus macht. „Die Kultur des Menschen besteht darin, dass er sich mit seinen Empfindungen, seinen eigenen Neigungen und fremden Einflüssen auf sehr komplexe Weise auseinandersetzen kann, vor dem Hintergrund von bestimmten Werten und Vorstellungen“, sagt Lammers. Und das sei etwas, was man von jedem verlangen könne.

Auch bei sich selber stellt Lammers ein gewisses Unwohlsein fest, wenn er auf seinen Fahrten durch die Stadt sieht, wie die Zeltstädte wachsen. „Ich würde es nicht als Angst bezeichnen, aber es ist das Gefühl, dass etwas auf uns zukommt, für das wir noch keinen richtigen Plan haben und was eine Belastung ist. Wenn ich Flüchtlinge als Patienten sehe, habe ich keine Ressentiments, sondern erlebe diese als belastete Menschen, denen man helfen muss. Und ich denke auch: Wäre ich an ihrer Stelle, würde ich genau das Gleiche machen. Natürlich werden die Flüchtlinge unser Land verändern, und mittlerweile kann ich das auch befürworten. Unsere Aufgabe wird es sein, diese Menschen so schnell wie möglich zu integrieren.“

Seine Instinkte im Zaum zu halten und stattdessen Vernunft und Verstand walten zu lassen, ist eine Aufgabe, die wir täglich viele Male zu bewältigen haben, ohne dass es uns groß auffällt. Könnten wir das nicht, würden wir uns ständig selbst im Weg stehen. Als Beispiel nennt Lammers den Umgang mit einer anderen Urangst: „Alle Menschen haben Angst vor Höhen, aber trotzdem steigen wir ins Flugzeug. Für uns ist das letztlich interessanter und wichtiger, als einer Angst zu folgen, die statistisch gesehen so gut wie unangemessen ist. Wir haben bestimmte emotionale Reaktionen, die in unserem Gehirn verdrahtet sind, aber können und müssen uns häufig darüber hinwegsetzen.“

Die Menschen kennenzulernen, ist der beste Weg, die Angst zu überwinden

Das gilt auch für die Angst vor dem Fremden. „Der beste Weg, um sie zu überwinden, ist es, die Menschen kennenzulernen. Wenn man etwas kennengelernt hat, um es dann zu verstehen, verändert das auch die eigene Haltung“, sagt der Psychiater. Doch das erfordert Arbeit, Arbeit an sich selbst. „Gegen sich selbst zu argumentieren, sich dazu zu bringen, Dinge zu tun, die man zunächst abgelehnt hat, ist eine Leistung. Das ist anstrengend.“

Es gibt aber auch Menschen, die dieser Auseinadersetzung mit sich selbst aus dem Weg gehen und nur ihrem Instinkt folgen. „Natürlich ist es viel einfacher, wenn man sagt, diese Menschen seien eine Bedrohung für unsere Gesellschaft, die man bekämpfen müsse. Trifft man mit dieser Meinung auf eine Gruppe von Gleichgesinnten, schaukeln sich die Emotionen schnell gegenseitig hoch.“

Und dann gibt es noch die Rechtspopulisten wie in der Pegida-Bewegung, die solche Stimmungen anfeuern. „Was mir Angst macht, ist weniger eine kleine Gruppe von Neonazis, sondern die bürgerliche Schicht, die sich bei Pegida dazugesellt. Dadurch kann eine solche Haltung in der Gesellschaft an Akzeptanz gewinnen. Und das halte ich für fatal.“

Auch gruppenpsychologische Prozesse könnten eine große Rolle spielen

Dass es eine angeborene Urangst des Menschen vor dem Fremden gibt, hält Dr. Markus Preiter, leitender Oberarzt im Zentrum für seelische Gesundheit am Asklepios-Klinikum Harburg, hingegen für äußerst unwahrscheinlich. Der Psychiater, der zum Thema evolutionäre Psychiatrie promoviert und dazu auch ein Buch geschrieben hat, gibt zu bedenken: „Würde es wirklich eine angeborene Angst vor dem Fremden geben, dann hätte es zu den Urzeiten des Menschen nie Begegnungen und sexuelle Kontakte zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gegeben. Das war aber immer nötig, um Inzest zu vermeiden und so die eigene, gesunde Reproduktion zu sichern. Es muss also auch schon immer bei Menschen eine Fähigkeit vorhanden gewesen sein, sich auf etwas Neues einzulassen und dem mit Neugierde zu begegnen.“

Preiter hält die Ablehnung von Fremden und die Angst vor ihnen eher für ein Phänomen, das aus gruppenpsychologischen Prozessen entstanden ist. „Um den Zusammenhalt einer Gruppe zu sichern, müssen sich die einzelnen Mitglieder mit der Gruppe identifizieren. Das bedeutet, dass sie diese immer ein bisschen positiver sehen, als sie tatsächlich ist, und andere konkurrierende Gruppen für schlechter halten, also abwerten“, sagt Preiter. Welches Abwertungsthema dann aufgegriffen werde, entspringe sozialen und kulturellen Quellen und nicht evolutionären.

Bei den Überlegungen, wie dieser Mechanismus zu überwinden ist, kommt der Psychiater allerdings zu ähnlichen Schlüssen wie Lammers: „Wir müssen uns durch Diskussion, Aufklärung, das Ernstnehmen von Sorgen mit der Flüchtlingsproblematik gesamtgesellschaftlich auseinandersetzen. Das bedeutet auch, sich mit seinen eigenen Gefühlen und Sorgen sowie der Möglichkeit diese zu überwinden, beschäftigen“, sagt Preiter. Wichtig für unsere Gesellschaft sei es aber auch, diese äußern zu dürfen. „Wenn man das nicht mehr zulässt, drängt man Menschen ins gesellschaftliche Abseits. Dadurch steigt die Gefahr, dass sich ausländerfeindliche Bewegungen stärker miteinander solidarisieren und somit radikalisieren.“