Genf/Hamburg. Experten warnen, Fleisch-Hersteller sind wütend: Worauf man bei der Ernährung wirklich achten muss.

Dutzende Experten aus Medizin, Verbraucherschutz und Ökotrophologie, selbst ein Nobelpreisträger gab seinen wohldosierten Senf dazu. Der Schinkenverband hat sich zu Wort gemeldet, die deutsche Fleischindustrie auch. Alle beschäftigen sich mit dem Leib- und Magen-Thema dieser Tage: Führt Fleischkonsum zu Krebs? Zumindest die Gefahr, an Krebs zu erkranken, erhöht sich durch den Verzehr von Fleisch und Wurst, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO festgestellt. Das war eigentlich bekannt, wurde jetzt aber noch einmal wissenschaftlich untermauert und bekam den amtlichen Stempel.

Eine Arbeitsgruppe aus 22 Experten hatte mehr als 800 Studien ausgewertet. Die WHO Behörde kam in den in der Fachzeitschrift „The Lancet Oncology“ veröffentlichten Ergebnissen zu dem Schluss: Das Darmkrebs-Risiko steigt beim Konsum von je 50 Gramm verarbeitetem Fleisch täglich um etwa 18 Prozent.

Schinkenhersteller: Verbraucher werden verunsichert

Und so stieß die Warnung der WHO vor dem Krebsrisiko natürlich auf harte Kritik von Herstellern. Der Schutzverband Schwarzwälder Schinkenhersteller warf der Organisation eine Verunsicherung der Verbraucher vor. Die Fleischverarbeitung in Deutschland verlaufe unter strengen Vorschriften und Kontrollen, sagte der Verbandsvorsitzende Hans Schnekenburger am Dienstag in Villingen-Schwenningen.

Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC), eine WHO-Behörde, hatte verbreitet, dass jedes Jahr 34.000 Krebstodesfälle auf verarbeitetes Fleisch und möglicherweise 50.000 auf rotes Fleisch zurückgingen. Das Rauchen verursacht laut IARC eine Million Krebstote pro Jahr, Alkohol 600.000 und Luftverschmutzung 200.000.

Verband: Der Fleischverbrauch in Deutschland sinkt

Der Bundesverband der Deutschen Fleischwarenindustrie erklärte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur: „Für die Entstehung von Krebs ist sicherlich nicht ein einzelnes Lebensmittel verantwortlich, sondern auch weitere Einflussfaktoren wie die persönliche Lebensweise, erbliche Vorbelastungen oder Umwelteinflüsse.“ Auch nach dem WHO-Report gelte weiterhin der „Grundsatz einer gesunden Lebensweise durch viel Bewegung und eine vielseitige und ausgewogene Ernährung – auch mit Fleisch und Wurst“. Aus einer Erhebung des Verbands gehe hervor, dass der Fleischwarenverzehr in Deutschland sinke: Der Pro-Kopf-Konsum lag 2013 bei 29,6 Kilogramm, zehn Jahre zuvor waren es noch 31,3 Kilogramm.

Die WHO-Behörde IARC hatte selbst eingeräumt, dass das individuelle Risiko, Darmkrebs durch Fleischkonsum zu bekommen, gering sei. Es steige aber mit der Menge des konsumierten Fleisches, sagte Kurt Straif vom IARC. Betrachte man eine große Zahl von Menschen, seien die Fälle gesundheitspolitisch bedeutend.

Sogar Lebertransplantation wegen zu viel Fett

Gleichzeitig teilte am Dienstag der Bundesverband für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz e.V. mit, dass rund 30 Prozent der Deutschen leiden an einer nicht-alkoholbedingten Fettlebererkrankung litten. "Jede zehnte bis zwanzigste Leberzirrhose und bestimmte Formen von Leberkrebs gehen darauf zurück; immer häufiger sind Lebertransplantationen notwendig. Damit es nicht soweit kommt, hilft nur eins: Gesunde Ernährung, wenig oder gar kein Alkohol und Bewegung", empfehlen die Experten.

Und was hat besonders viel Fett? Eben. So trage eine allzu üppige Ernährung zu schlimmsten Lebererkrankungen bei. Das Gros der Betroffenen sei über 60 Jahre alt, doch zunehmend treffe es auch jüngere Erwachsene und sogar Kinder. Fatal hierbei: "Medikamente zur direkten Behandlung einer nicht-alkoholbedingten Fettlebererkrankung gibt es nicht." Man müsse also die Lebensgewohnheiten umstellen.

Männer essen mehr Fleisch als Frauen

„Man kann jedes Fleisch bedenkenlos essen. Es kommt aber auf die Menge an“, sagte Prof. Heiner Boeing vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, der nicht an dem Bericht beteiligt war. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Fleischwaren pro Woche zu essen. Die Realität sehe aber bundesweit anders aus, sagte DGE-Pressesprecherin Antje Gahl. So verzehrten Männer im Durchschnitt wöchentlich etwa doppelt so viel, nämlich 1092 Gramm. Frauen liegen demnach mit 588 Gramm an der oberen Grenze. Die Zahlen stammen allerdings aus einer Befragung von 2005 bis 2007.

Nobelpreisträger zur Hausen: Auf die Sorten achten!

Im Prinzip bestätige die WHO-Einschätzung die vorliegenden Befunde, sagte der deutsche Medizin-Nobelpreisträger Harald zur Hausen. Der Professor kritisierte jedoch, dass in dem Bericht nicht erwähnt werde, dass es Länder mit hohem Fleischkonsum gebe, in denen die Dickdarmkrebs-Raten trotzdem sehr niedrig sind. Aus seiner Sicht müsste mehr zwischen den verschiedenen Sorten roten Fleisches differenziert werden. So gebe es Anhaltspunkte, dass vor allem bestimmte Sorten von Rindfleisch das Risiko steigern, sagte der frühere Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Die WHO-Behörde ist der Auffassung, dass die Daten für eine solche Unterscheidung nicht ausreichen.

Ernährungswissenschaftler weisen darauf hin, dass Fleisch unter anderem Eisen und wichtige Vitamine liefert. Wer kein Fleisch essen möchte, muss sich andere Lieferanten für wichtige Nährstoffe suchen.

Hamburger Chefarzt: Fischesser leben am längsten

Der Hamburger Chefarzt (Gastroenterologie Asklepios Klinik Altona) Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller sagte, Vegetarier und Veganer lebten gesünder als Fleischesser. "Dass verarbeitetes Fleisch, also gesalzenes, gedörrtes, geräuchertes, fermentiertes oder anderweitig verändertes Fleisch das Darmkrebsrisiko erhöht, müssen somit auch die Hersteller solcher Produkte anerkennen", so der Experte.

Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller Asklepios Klinik Altona
Prof. Dr. Friedrich Hagenmüller Asklepios Klinik Altona © Asklepios

Allerdings sei für den Einzelnen das Risiko klein, nur aufgrund des Fleischkonsums Darmkrebs zu entwickeln. Aber "im Zusammenspiel mit weiteren Risiken wie familiärer Belastung, Übergewicht, Diabetes, Rauchen und chronischen Darmerkrankungen" könne es zu Darmkrebs führen.

Prof. Hagenmüller sagte aber auch: "Einem 60-Jährigen den Teller wegzunehmen, wenn Fleisch der einzige Risikofaktor ist, macht also keinen Sinn."

Den Fischessern machte der Arzt Mut: "Sogenannte Pescetarier, die neben vegetarischer Ernährung auch Fisch essen, haben die längste Lebenserwartung, gefolgt von Vegetariern und Veganern. Am schlechtesten schneiden Menschen ab, die große Mengen Fleischprodukte konsumieren. Das hat die WHO ja nun auch bestätigt."

Prof. Hagenmüller empfahl eine Darmkrebsvorsorge. Dieser Krebs entwickele sich über viele Jahre aus Polypen, die bei einer Darmspiegelung gefunden und entfernt werden könnten. "Deshalb sollte jeder Mensch mindestens einmal im Leben ab dem 55. Lebensjahr eine Darmspiegelung durchführen lassen." Hamburger seien bei der Darmkrebsvorsorge Spitzenreiter: "Hier haben in den vergangen zehn Jahren fast 50 Prozent der Anspruchsberechtigten bereits eine Darmspiegelung durchführen lassen."