Berlin. Fans der Paleo-Diät verzehren viel Fleisch und Fisch, verzichten aber auf Zucker. Ist das wirklich gesünder?

Über Ernährung lässt sich trefflich streiten: Darf ich noch Fleisch essen? Sollte man Fertiggerichte meiden? Muss das Obst bio sein, und was ist eigentlich gesund? Der bunte Basar der Ernährungstrends hat einiges im Angebot: Trennkost, Low Carb, Veganismus, Rohkost – und seit einiger Zeit auch Paleo, die „Steinzeitdiät“. Anders als ihr Name vermuten lässt, ist diese nicht als Abnehmprogramm zu verstehen, sondern als Ernährungsumstellung, die auf Dauer zu einem gesunden, weil natürlichen Essverhalten verhelfen soll.

Wie Paleo funktioniert

Paleo nimmt sich die Ernährung der Steinzeitmenschen zum Vorbild. Das bedeutet: Ein Großteil der heute verfügbaren Lebensmittel wird vom Speiseplan gestrichen. Das Konzept stützt sich auf die Idee, dass der menschliche Stoffwechsel vom derzeitigen Nahrungsangebot überfordert ist, dass also gesünder lebt, wer sich auf Ursprüngliches beschränkt. Dazu zählen vor allem Fleisch und Fisch, Nüsse, Samen, Eier sowie manche Gemüse- und Obstsorten. Tabu sind Getreide- und Milchprodukte, Hülsenfrüchte sowie alle stark verarbeiteten und mit künstlichen Zusätzen angereicherten Lebensmittel – und Zucker.

Was für Steinzeitkost spricht

Der Verzicht auf Zucker. Denn die meisten Menschen konsumieren davon weitaus mehr als die 25 Gramm täglich, die laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Rahmen einer gesunden Ernährung verzehrt werden dürfen. „Wir Menschen mögen den süßen Geschmack und können mit der unbegrenzten Verfügbarkeit nicht umgehen“, sagt Professor Andreas Pfeiffer, Direktor der Abteilung Ernährungsmedizin der Berliner Charité und der Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung.

Die Empfehlung der WHO bezieht sich vor allem auf zugesetzten Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln. Und diese meiden Paleo-Anhänger ohnehin. Nur weil keine zuckerhaltigen Speisen gegessen werden, droht nicht automatisch Mangelernährung. Auch bei reiner Fleischernährung würde der Körper die lebensnotwendige Glucose bilden, erklärt Pfeiffer. „Zucker als solcher ist also nicht nötig – er ist aber auch nicht als Gift zu betrachten, wie manche das tun.“

Da die Zahl der Menschen mit krankhaftem Übergewicht (Adipositas) parallel zum steigenden Kohlenhydratverzehr zugenommen habe, sei Zucker eben als „böse“ ausgemacht worden, so Pfeiffer weiter. Würde sich also ein Adipositas-Patient nach dem Paleo-Konzept ernähren und die Kohlenhydratzufuhr drastisch einschränken, „würde die Fettleber schmelzen wie Eis in der Sonne“. Der Patient würde schnell relativ viel abnehmen. Auch Diabetes-Patienten würden bei geringerer Kohlenhydrataufnahme weniger Insulin benötigen. Aber: „In der Praxis wird es kaum funktionieren“, so Pfeiffer. Denn die allermeisten könnten sich nicht dauerhaft mit den Entbehrungen durch die Paleo-Diät arrangieren.

Was gegen Paleo spricht

Langfristige Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen der Paleo-Diät existieren laut Pfeiffer nicht. Doch einige Nachteile der Ernährungsweise sind durchaus bekannt. So geht mit dem Verzicht auf Getreideprodukte auch eine wichtige Ballaststoff- und Mineralstoffquelle verloren. Gemüse kann zwar einen großen Teil davon decken, es gibt jedoch Hinweise, dass Ballaststoffe aus Getreideprodukten vorteilhafter sein können. Milch und Milchprodukte wiederum sind wichtige Calciumlieferanten. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) kann der Körper aus Milchprodukten leichter Calcium aufnehmen als aus pflanzlichen Lebensmitteln. Besonders Jugendliche im Wachstum und Ältere brauchen das Calcium zur Knochenstärkung. Die DGE empfiehlt als Richtwert, täglich etwa einen Viertelliter fettarme Milch und bis zu 60 Gramm Käse (etwa 1 bis 2 Scheiben) zu verzehren.

Auch der im Vergleich zu anderen Ernährungsarten hohe Fleischverzehr kann zum Problem werden. Pfeiffer: „Wenn junge Leute viel tierische Proteine essen, haben sie ein vierfach höheres Krebsrisiko.“ Hoher Fleischkonsum aktiviert im Körper sämtliche Wachstumsfaktoren – die von Muskeln und von Tumoren.

Nicht zuletzt ist die Steinzeitdiät kosten- und zeitaufwendig. Denn um sich abwechslungsreich zu ernähren, müssen Paleo-Fans erfinderisch werden. So entsteht Brot aus Mandel- statt aus Weizen- oder Roggenmehl. Statt Butter landet Kokosöl in der Pfanne, Apfelsüße dient als Zuckerersatz. Das Fleisch sollte aus artgerechter Haltung stammen, ist also teurer als das Discounterprodukt.

Wunderwaffe Paleo?

Selbst ernannte Paleo-Gurus werben damit, dass das Konzept Allergien heilen und schwere Krankheiten mildern könne. Je nach gesundheitlichen Voraussetzungen, kann sich ein bestimmtes Ernährungskonzept zwar manchmal positiv auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit des Menschen auswirken, doch sobald es als Allheilheilmittel für die breite Masse angepriesen wird, ist Skepsis angebracht. Zudem müsse man bedenken, dass der Steinzeitmensch „den ganzen Tag hinter seinem Futter hergerannt ist und ungefähr 40 Jahre alt wurde. Das ist mit dem heutigen Menschen nicht vergleichbar“, sagt Professor Pfeiffer. Wer sich gesund ernähren wolle, solle auf seinen Zuckerkonsum achten, Fleisch nur in Maßen genießen, gesättigte Fette meiden und vor allem abwechslungsreich essen. „Die Meinungen sind da nicht uniform“, betont Pfeiffer, doch für eine gesunde Ernährung braucht es aus seiner Sicht kein Steinzeit-Konzept. Und er vermutet: „Das ist eine Mode, die auch wieder vorbeigeht.“