New York/Hamburg. Der Wirkstoff Flibanserin wurde zur Therapie von Depressionen entwickelt, hat aber auch eine luststeigernde Wirkung

Chris Melzer

„Viagra für Frauen“ kann in den USA auf den Markt kommen. Die Arzneibehörde FDA in Washington hat zum ersten Mal ein luststeigerndes Präparat als Medikament zugelassen. Die Food and Drug Administration genehmigte am Dienstag (Ortszeit) das Mittel Flibanserin, das unter dem Namen Addyi auf den Markt kommen soll. Die rosa Pille soll die sexuelle Lust von Frauen wecken. Eine körperliche Stimulanz ist sie nicht. „Die heutige Zulassung gewährt Frauen, die unter sexueller Unlust leiden, eine überprüfte Therapiemöglichkeit“, sagte FDA-Forschungsdirektorin Janet Woodcock. „Die FDA ist um den Schutz und die Förderung der Gesundheit von Frauen bemüht, und wir fühlen uns verpflichtet, die Entwicklung sicherer und effektiver Präparate zu unterstützen.“

Wann das Präparat nach Deutschland kommt, ist noch ungewiss

Die Effizienz ist jedoch genau der Streitpunkt. Nach Untersuchungen kam es bei Frauen mit dem Wirkstoff zu einem halben bis einem Mal Sex mehr pro Monat als bei Frauen mit Placebo. Das ist ein geringer Wert – aber dennoch einer, der für viele Paare einen großen Unterschied machen kann. Denn Frigidität oder sexuelle Gefühlskälte ist ein Problem für Millionen Frauen: Sie haben keine Lust auf Sex und empfinden keinen Spaß am Geschlechtsverkehr. Die Störung der Libido ist eine Belastung für viele Beziehungen. Nach Angaben von Medizinern ist in Deutschland etwa jede dritte Frau betroffen. Ob und wann das Präparat nach Deutschland kommt, ist noch ungewiss. Mediziner gehen zudem davon aus, dass die Tablette nur zehn Prozent der Betroffenen hilft – was allerdings Millionen sein können.

Die Pille wirkt weniger auf den Körper als auf die Psyche. Während Viagra bei Männern ein körperliches Problem anpackt und zu Erektionen verhelfen kann, beeinflusst Flibanserin im Gehirn die Botenstoffe Dopamin und Serotonin und soll die Libido anregen. Es geht also nicht um das Können, sondern das Wollen. Die Pille muss jeden Abend eingenommen werden, ob Sex geplant ist oder nicht.

Flibanserin wurde vom deutschen Hersteller Boehringer Ingelheim entwickelt – als Mittel gegen Depressionen. Die luststeigernde Wirkung wurde erst später bekannt. Nach einem negativen FDA-Bericht gab das Unternehmen das Projekt 2010 auf. Die US-Firma Sprout Pharmaceuticals übernahm die Forschung, scheiterte aber 2013 zunächst ebenfalls an der US-Behörde. Daraufhin gab es heftige Kontroversen zwischen Frauenrechtsgruppen. Die einen warfen der FDA Sexismus vor, weil sie Viagra zugelassen habe, nicht aber Flibanserin. Andere behaupteten, das Unternehmen missbrauche Aktivistinnen, um ein noch nicht als sicher bewiesenes Präparat durchzudrücken.

Sexualforscher warnen vor zupositiver Einschätzung der Pille

Unterdessen hat der deutsche Sexualwissenschaftler Jakob Pastötter vor einer zu positiven Einschätzung der Sexpille Pink Viagra für die Frau gewarnt. „Die Wirkung ist gering. Wer will guten Gewissens sagen, dass diese Pille verlässlich funktioniert?“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Sexualforschung am Mittwoch. „Viele Frauen werden sie mit großen Erwartungen nehmen und dann merken: Da passiert ja gar nichts.“

Die Psychologin Verena Klein vom Institut für Sexualforschung am Universitätsklinikum Eppendorf fürchtet, dass mit Addyi die Sexualität der Frau in den Bereich der Krankheit rückt. „Es wird so getan, als gäbe es ein Defizit der Frau, das durch ein Medikament behoben werden könne“, sagt die Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung. „Wenn Sexualität in der Partnerschaft nicht so gut läuft, dann lässt sich das nicht auf die Biologie der Partnerin oder des Partners reduzieren.“ Das Präparat könnte Klein zufolge Frauen auch unter Leistungsdruck setzen, funktionieren zu müssen.