Hamburg. Bei Deutschlands bisher größter Gesundheitsstudie werden auch Hamburger untersucht. UKE erwartet 1000. Teilnehmer

Fast vier Stunden haben die Prozeduren gedauert; mehr als ein Dutzend medizinische Untersuchungen hat Elke Gäth über sich ergehen lassen, unter anderem Blutdruckmessungen, einen Lungenfunktionstest und eine Zahnuntersuchung. Doch Gäth sagt: „Och, das war ganz kurzweilig – die Zeit ist im Nu verflogen.“ Es habe ihr sogar Spaß gemacht, erzählt sie. „Ich fand es interessant.“

Die 54 Jahre alte Schifffahrtskauffrau aus Jenfeld gehört zu den ersten Teilnehmern von Deutschlands bisher größter Gesundheitsstudie namens „Nationale Kohorte“ (NAKO), die vor einem halben Jahr begann. Um Volkskrankheiten wie Krebs, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz genauer zu erforschen, sollen in den kommenden zehn Jahren bundesweit 200.000 Bürger untersucht und befragt werden, 10.000 davon in Hamburg.

Die Teilnehmer sind nicht krank. Es geht darum, zu beobachten, warum bei einigen künftig Beschwerden auftreten, bei anderen aber nicht, obwohl die Lebensumstände vielleicht ähnlich sind. „Zu den Zielen gehört, die Früherkennung und die Prävention bei Volkskrankheiten zu verbessern“, sagt Prof. Heiko Becher vom Uniklinikum Eppendorf (UKE), wo die Hamburger Probanden untersucht werden. „Außerdem wollen wir mehr darüber herausfinden, welche Risikofaktoren es für diese Krankheiten gibt.“ In dieser Woche erwarten Becher und sein Team den 1000. Hamburger Teilnehmer.

Bund, Länder und die Helmholtz-Gemeinschaft finanzieren das Programm in den kommenden zehn Jahren mit zunächst 210 Millionen Euro; den Rest der nötigen Mittel sollen die beteiligten Kliniken aufbringen. Zuwendungen von Unternehmen erhalte das UKE für die Studie nicht, so Becher.

Die NAKO-Studie ist zu unterscheiden von der kürzlich gestarteten Hamburg City Health Studie (HCH). Auch bei dieser groß angelegten Untersuchung geht es um Volkskrankheiten, allerdings beschränkt sich die HCH-Studie auf die Hansestadt. 45.000 Hamburger sollen daran teilnehmen

Die Teilnahme an beiden Studien ist freiwillig. Es gibt kein Geld zu verdienen; bei der NAKO-Studie sind pro Teilnehmer zehn Euro Aufwandsentschädigung vorgesehen. Vielmehr handele es sich um einen „Dienst an der Gesellschaft“, sagt Heiko Becher.

Für die Studie schreiben die Einwohnermeldeämter weitestgehend nach dem Zufallsprinzip Personen im Alter von 20 bis 69 Jahren an und laden sie ein. Die Stichprobe wird allerdings so angelegt, dass ein repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung gegeben ist. Deshalb kann man sich nicht freiwillig melden oder bewerben, weil eine Aufnahme sonst den Aufbau der Studie durcheinanderbrächte.

Elke Gäth hatte vor zwei Monaten eine Einladung erhalten. „Ich habe sofort gedacht: Da mache ich mit“, erzählt sie. Sie habe zwei Freundinnen, die an Krebs erkrankt seien. Allein deshalb schon wolle sie dazu beitragen, dass mehr darüber herausgefunden wird, wie sich Krankheiten verhindern lassen. „Ich selbst werde von den Ergebnissen wohl nicht mehr profitieren“, sagt die Mutter von zwei Kindern. „Aber es kommt hoffentlich den nachfolgenden Generationen zugte.“

Als die Untersuchung näher rückte, hätten sich zunächst leichte Zweifel bei ihr eingeschlichen, erzählt Gäth. „Immerhin legt man fast sein gesamtes Leben offen.“ Doch ihre Bedenken seien verflogen, als sie ausführlich über den Datenschutz aufgeklärt wurde. Demnach werden die Daten in gesicherten Rechenzentren gespeichert und nur anonymisiert genutzt. Und die Teilnehmer können jederzeit veranlassen, dass ihre Daten gelöscht und ihre Blutproben vernichtet werden.

Gäths Zögern hat damit zu tun, dass bei den Untersuchungen erheblich mehr Daten erhoben werden als bei einem Check-up beim Hausarzt. Die Probanden werden unter anderem nach Erkrankungen in ihrer Familie gefragt, nach ihrer Zufriedenheit und Belastung im Beruf; sie sollen Auskunft über ihre Ernährung und ihr Freizeitverhalten geben und darüber, wie viele ihrer Freunde für sie auch Vertrauenspersonen sind.

Dabei und bei der Analyse von Blutwerten und Körperfunktionen wird es nicht bleiben: Auch das Erbgut der Probanden soll künftig analysiert werden. Zunächst werden die Blutproben bei minus 80 Grad eingefroren. Später, wenn Proben und Daten aller 200.000 Teilnehmer vorliegen, werde entschieden, welche Erbgutabschnitte man genauer untersuchen sollte, um Risikogene für bestimmte Krankheiten zu finden, erläutert Heiko Becher. Dazu werden Forscher dann aus den gefrorenen Blutproben DNA extrahieren.

Diese Daten seien nötig, um zu verstehen, ob und wie genau Krankheiten durch das Zusammenspiel von genetischen Faktoren und zum Beispiel Umwelteinflüssen entstehen, sagt Dr. Annika Jagodzinski, Leiterin des Studienzentrums am UKE. Beispiel Demenz: „Aus der Summe vieler Daten unter anderem zu Genen, Ernährung, körperlicher Aktivität und weiteren Faktoren lässt sich vielleicht künftig ableiten, ob und wann jemand an Alzheimer erkrankt“, erläutert Jagodzinski.

Durch den umfassenden Ansatz soll auch genauer als bisher erfasst werden, ob es Zusammenhänge gibt, die zunächst merkwürdig erscheinen. Ein Beispiel: „Einige Studien deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang geben könnte zwischen Parodontitis, einer Zahnfleischentzündung, und dem Risiko, einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt zu erleiden – das wird allerdings kontrovers diskutiert“, sagt Jagodzinski.

Pro Proband sind mindestens zwei Untersuchungstermine vorgesehen. Nach den Tests erhalten die Teilnehmer einen Ausdruck mit jenen Daten, von denen heute klar ist, wie sie einzuordnen sind – verbunden mit dem Rat, das Ganze mit dem Hausarzt zu besprechen. Bei Elke Gäth war alles in Ordnung.