Frankfurt/Main. Am 30. Juni wird eine Sekunde zwei Sekunden lang sein. Frankfurter Forscher vermessen die Bewegung des Planeten um die eigene Achse.

Der Kontrast könnte kaum größer sein: eine klassizistische Villa mit Marmorsäulen, Deckenfresken und Kronleuchtern – in all dieser Pracht stehen Großrechner, hängen Bildschirme mit Grafiken und Zahlenkolonnen an der Wand, stehen Geräte auf dem Dach, die mit Satelliten im All kommunizieren.

Als die Familie Mumm von Schwarzenstein 1903 in die Frankfurter 70-Zimmer-Villa zog, hätte sich die Champagner-Dynastie wohl kaum träumen lassen, dass 100 Jahre später von hier aus die Drehung der Erde überwacht wird. In der Villa Mumm sitzt der „International Earth Rotation and Reference Systems Service“, kurz IERS. Das Zentralbüro für die Erdrotationsüberwachung sitzt seit 2000 als Untermieter beim Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG).

Ins Weltall schauen und auf der Erde messen – das ist im Kern, was IERS-Direktorin Daniela Thaller, 37, und ihr vierköpfiges Team tun. Sie werten die Signale aus, die 25 Beobachtungsstationen in Deutschland von den Satelliten im All empfangen, fügen sie mit internationalen Daten zusammen und ziehen daraus Rückschlüsse über die Erdbewegung. Die Erdkugel rotiert nämlich nicht völlig gleichmäßig um ihre Achse. Sie wird nicht nur immer langsamer, sie schwingt auch und eiert. Ausgelöst wird das zum Beispiel durch die Anziehungskraft des Mondes oder durch Hoch- und Tiefdruckgebiete beim Wettergeschehen. Dadurch braucht die Erde nicht immer exakt 24 Stunden, um sich einmal um sich selbst zu drehen.

Durch diese Abweichung driften zwei „Zeiten“ immer mehr auseinander: Die immer gleich schnell tickende Zeit der Atomuhren und die am Stand der Sonne gemessene astronomische Zeit. Alle paar Jahre müssen sie wieder in Übereinstimmung gebracht werden. „Sonst würde in ein paar Millionen Jahren die Sonne nicht mehr morgens sondern mittags aufgehen“, sagt Thaller. Daher wird alle paar Jahre der Tag um eine sogenannte Schaltsekunde verlängert.

Festgelegt wird dies von der Pariser Sternwarte. Aber wann eine solche Schaltsekunde nötig ist, dazu leistet das IERS in Frankfurt einen entscheidenden Beitrag. Demnächst ist es wieder soweit: In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli wird die Sekunde von 23.59.59 bis 0.00.00 Uhr zwei Sekunden dauern. In lokaler deutscher Zeit ist es dann aber schon 2.00 Uhr.

Wie das IERS-Team die Rotation im Detail misst, ist für Laien kaum verständlich. Im Prinzip, erläutert Daniela Thaller, richtet man zwei Teleskope auf den gleichen Punkt im All, dann sieht man anhand der empfangenen Radiosignale, wie schnell sich die Erde darunter weggedreht hat.

200 Mitarbeiter kümmern sich beim BKG um Geodaten für Navigationssysteme oder Landkarten. Dazu kommen 70 Kollegen in Leipzig und 25 im Observatorium Wettzell im Bayerischen Wald. Nur drei Wissenschaftler und zwei Ingenieure arbeiten für den IERS, der von den internationalen Organisationen für Geodäsie (Vermessungswesen) und Astronomie (Sternenkunde) betrieben wird.