Hamburg. UKE-Forscher untersuchen, warum werdende Mütter mit Multipler Sklerose kaum Beschwerden haben

Eine Schwangerschaft ist für das weibliche Immunsystem eine doppelte Herausforderung: Es muss die väterlichen Antigene des Ungeborenen dulden (normalerweise würde es Fremdkörper abstoßen) und trotzdem in der Lage sein, Keime abzuwehren, damit die Mutter nicht krank wird. Letzteres funktioniert aber nur eingeschränkt.

Wegen der Veränderungen des Immunsystemshaben Schwangere ein höheres Infektionsrisiko und eher schwere Krankheitsverläufe. Ein erstaunliches Phänomen zeigt sich jedoch bei Schwangeren, die an einer Autoimmunerkrankung wie Multipler Sklerose (MS) leiden: Hatte ihr Immunsystem zuvor körpereigenes Gewebe als Fremdkörper angesehen und bekämpft, unterbleibt diese Reaktion bis zur Geburt offenbar meist.

Das Risiko, einen MS-Schub zu erleiden, sinkt um bis zu 80 Prozent. „Es gibt kein Medikament, das so wirksam wie eine Schwangerschaft die Krankheitsschübe bei MS verhindern kann“, sagt Prof. Petra Arck von der Klinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Uniklinikum Eppendorf (UKE). Bereits 2011 hatten UKE-Forscher damit begonnen, dieses Phänomen eingehender zu untersuchen.

Die Studien gehören zu dem Verbundprojekt Feto-Maternal Immune Cross Talk, in dem Geburtsmediziner, Kinderärzte, Immunologen, Psychologen und Neurowissenschaftler mehr darüber herausfinden wollen, wie Mutter und Ungeborenes miteinander kommunizieren und wie sich diese Vorgänge auf die Gesundheit der Mutter und die spätere Gesundheit des Kindes auswirken. Bei den Untersuchungen geht es auch um den Einfluss von Umweltfaktoren wie Stress und von bestimmten Medikamenten.

Bis 2013 waren die Arbeiten von der damaligen Forschungs- und Wissenschaftsstiftung Hamburg mit zwei Millionen Euro gefördert worden. Nun ist die weitere Unterstützung gesichert: In den kommenden drei Jahren wird die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Studien mit rund 3,4 Millionen Euro fördern. Beteiligt sind 14 Ärzte und Grundlagenforscher aus verschiedenen Kliniken und Instituten des UKE und des Heinrich-Pette-Instituts.

Auch Paracetamol im Fokus

Multiple Sklerose ist eine chronische entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. In Deutschland sind nach Angaben der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft schätzungsweise 130.000 Menschen an MS erkrankt. Bisher ist die Krankheit nicht heilbar. Medikamente können zwar den Verlauf verzögern, aber auch Nebenwirkungen haben, da sie nicht nur die Zellen hemmen, die sich gegen körpereigenes Gewebe richten, sondern auch gegen lebenswichtige „gesunde“ Anteile der Immunantwort. Wenn klar wäre, warum genau die Krankheitsschübe während einer Schwangerschaft aussetzen, könnten nach dem Vorbild dieses Mechanismus womöglich neue Medikamente gegen MS entwickelt werden.

Erste Erkenntnisse dazu haben sich durch Tierversuche und Blutproben von MS-Patientinnen während und nach der Schwangerschaft ergeben, wie Prof. Manuel Friese und Prof. Stefan Gold vom UKE berichten. Demnach werden während der Schwangerschaft offensichtlich nur bestimmte Immunzellen in ihrer Funktion verändert. Durch die Wirkung von Schwangerschaftshormonen erhöhe sich die Zahl sogenannter regulatorischer T-Zellen, die das immunologische Gleichgewicht aufrechterhalten.

Diese T-Zellen können sogenannte Effektorzellen abschalten, die gegen Antigene des Kindes oder der Mutter selbst gerichtet sind. „Dadurch erreicht der Körper, dass Angriffe des Immunsystems der Mutter auf den Fötus ausbleiben“, sagt Gold. „Dieser im Laufe der Evolution fein austarierte Prozess hat vermutlich als positiven Nebeneffekt den Rückgang autoimmuner Attacken zur Folge.“ Mithilfe des Fördergeldes von der DFG wollen Friese und Gold nun herausfinden, welche molekularen Prozesse für diese Immunregulation verantwortlich sind.

Im Fokus des Verbundprojekts steht auch Paracetamol. Das Medikament, das leichte bis mittelschwere Schmerzen lindern und Fieber senken kann, gilt für Schwangere als gut verträglich und für den Embryo als ungefährlich – auch wenn es nicht „unkritisch wochenlang eingenommen werden sollte“, wie es im Charité-Internetportal www.embryotox.de heißt. Zwar hatten in den vergangenen Jahren einige Studien angedeutet, dass es womöglich Risiken gibt. Eindeutig belegen ließ sich das bisher aber nicht.

Forschungsprojekt zur Wirkung von Paracetamol auf Ungeborene

Am UKE zeigte sich bei Versuchen mit schwangeren Mäusen, die Paracetamol erhielten, dass bei den Babys der Tiere Stammzellen geschädigt wurden, die in der Leber gebildet werden (ab der Geburt werden Stammzellen im Knochenmark gebildet). Im späteren Leben dieser Nachkommen sei es leichter gewesen, ein schweres Asthma auszulösen als bei den Nachkommen der Kontrollgruppe, deren Mütter kein Paracetamol erhalten hatten. Ob auch beim Menschen die Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft asthmatische Beschwerden oder andere Krankheiten beim Kind begünstigen kann, wollen die Forscher in der sogenannten Prince-Studie herausfinden.

Etwa 350 Frauen hat das Team um Studienleiterin Dr. Anke Diemert inzwischen aufgenommen. 1000 Fälle wollen die Forscher insgesamt dokumentieren. Alle Teilnehmerinnen werden während ihrer Schwangerschaft kostenlos dreimal per Ultraschall untersucht, zusätzlich zu den drei von den Kassen bezahlten Ultraschalluntersuchungen. Dabei prüfen die Ärzte, ob die Plazenta gut durchblutet ist und ob sich die Organe des Ungeborenen normal entwickeln. Besonderes Augenmerk legen sie auf Thymus und Leber, weil diese Organe eine entscheidende Rolle für die Ausbildung des fötalen Immunsystems spielen. Außerdem nehmen die Ärzte den schwangeren Teilnehmerinnen Blut ab.

Bei jedem Termin erhalten die Schwangeren einen Fragebogen. Darin sollen sie unter anderem dazu Auskunft geben, ob sie sich gestresst fühlen und ob sie Medikamente wie Paracetamol nehmen und in welcher Menge. Auch nach der Schwangerschaft sollen die Frauen jedes Jahr in weiteren Fragebögen Auskunft über ihre Gesundheit und die ihres Kindes geben. Zusammen mit den Ergebnissen der Blut- und Ultraschalluntersuchungen soll so Stück für Stück ein Bild entstehen, was Kinder schwächt – oder stark macht.