Ein Prosit

Wein und Steinbeißer-Filet treffen auf Science-Slam

| Lesedauer: 5 Minuten
Jennifer Virginia Wirschky
Forschung und Genuss: Michael Büker (M.) nach seinem populärwissenschaftlichen Vortrag über Astroteilchen-Physik

Forschung und Genuss: Michael Büker (M.) nach seinem populärwissenschaftlichen Vortrag über Astroteilchen-Physik

Foto: Roland Magunia

Wenn Teilchenphysik auf den Tisch kommt: Veranstaltung in privaten Küchen vereint den akademischen Vortrag mit leiblichem Genuss.

Hamburg. Schüsseln klappern, es duftet nach Bruschetta, im Hintergrund läuft Jazzmusik. Wenn sich in einer großzügigen Wohnküche wildfremde Menschen und ein Wissenschaftler bei Speis’ und Trank vergnügen, dann ist hier ein besonderes Experiment in der Erprobung: „Science Slam meets ­Cookasa“, eine Verbindung von unterhaltsam aufbereitetem Impuls-Referat und exklusiver Kochparty.

Für die große Premiere am Mittwoch wurde Michael Büker eingeladen — seines Zeichens Diplom-Physiker und Wissenschaftskommunikator. In seinem neunköpfigen Auditorium befanden sich vornehmlich Frauen, darunter auch Julia Offe, die Organisatorin der Hamburger Science Slams. Dieses neue Event hat die promovierte Biologin gemeinsam mit Cookasa-Mitbegründer André Wollin ins Leben gerufen, weil sie schon so lange davon träume, „die Wissenschaft noch näher an die Menschen zu bringen“.

Beim Eintreten in die Räumlichkeiten wird schnell klar, dass dieses Amüsement sich tatsächlich genau darin versucht: Um die Kochinsel stehen die Teams und bereiten den ersten Gang vor. „Die japanischen Kochmesser bitte nicht in die Spülmaschine“, ruft Bernd Gricksch den Hobbyköchen zu. Der Werbemanager hat offensichtlich Küchen-Expertise, muss als Gastgeber aber nicht selbst an den Herd – so will es das Konzept.

Bevor Bruschetta und Feta im Speckmantel als Vorspeise auf den Tisch kommen, verliert Science Slammer Michael Büker noch ein paar Worte zur Wissenschaftskommunikation. „Immer mehr Forschungsgelder müssen für die Öffentlichkeitsarbeit aufgewendet werden. Hier schließt sich der Kreis zum Science Slam – für mich ist das PR-Arbeit für die Wissenschaft“. Trotzdem gebe es wenig Unterstützung aus den eigenen Reihen: „Es gibt einige Forscher, die damit ein Problem haben“, meint Büker. Vielleicht deshalb, weil das Ziel des zehnminütigen Vortrags ist, ein wissenschaftliches Thema so aufzubereiten, dass sogar Laien es verstehen. „Man muss die Geschichte mit Humor erzählen und eine Formulierung finden, die das Ganze salopp zusammenfasst, ohne falsch zu sein“, erklärt Büker den Science Slam.

„Inmitten aller Galaxien passieren abgefahrene Sachen mit Magnetfeldern“

Auch beim weltweit ersten „Science Slam meets Cookasa“ kommt vor dem Vergnügen die Arbeit. Zumindest für Michael Büker. Er stellt Fragmente seiner Diplomarbeit vor, die sich mit der Astroteilchen-Physik, genauer mit dem HiScore-Experiment befassen. Der 28-Jährige will damit in wenigen Minuten einen Einblick in den Ursprung des Universums geben.

Dafür nimmt er – wie jeder Science Slammer – die Technik zur Hilfe und wirft seine Powerpoint-Präsentation an die Wand. Auf der ersten Grafik sieht man noch „einen Haufen Space-Zeug“, wie der tiefenentspannte Büker erklärt, die Zweite zeigt ein schwarzes Loch inmitten einer Galaxie. „Es passieren ganz abgefahrene Sachen mit diesen Magnetfeldern. Die Teilchen, die dort beschleunigt und herausgeschossen werden, treffen jeden Tag unsere Erde und geben Auskunft über die Beschaffenheit des Weltalls.“


Jedes Teilchen stoße vor der Ankunft auf der Erde mit verschiedenen Atomen zusammen. Durch die Kollision entstehe dann ein so genannter Luftschauer. Diese Schauer könne man zwar nicht sehen, aber messen. Büker verbildlicht das Phänomen als „Teilchenpizza“, die schräg auf unsere Erde aufprallt, je nach Eintrittswinkel etwas über die Richtung des Luftstroms verrät und schließlich sogar, aus welcher weit entfernten Galaxie die Teilchen stammen. Ziel des HiScore Experiments ist nichts weniger als die Beantwortung der Frage, wo wir Menschen herkommen.

Blaues Leuchten, Blumenerde und „The Big Bang Theory“

Während im Ofen das Steinbeißer-Filet auf seine Revue wartet, hat das Publikum in zehn kurzen Minuten viel über das Universum gelernt. An der Drei-Quadratmeter-Tafel lässt es sich so gut lernen wie essen – im Anschluss an den Science Slam speisen alle gemeinsam am großen Holztisch und dürfen ihre Fragen an den Science Slammer richten. Favorit ist das Blaue Leuchten, die Tscherenkow-Strahlung. Sie entsteht, wenn radioaktive Teilchen sich schneller bewegen als von Materie gehindertes Licht. Und so erklärt Büker bis zum Nachtisch mit dem drolligen Namen „Blumenerde“ die große Welt der Astroteilchen-Physik.

Die Teilnehmer sind begeistert. Jinny Kim gefiel vor allem die Kombination aus Vortrag und Kochen. „Ich interessiere mich für die Forschungsfelder anderer Leute. Sonst habe ich nicht viel Kontakt zu Wissenschaftlern“, so die 34-Jährige. Doch die Veranstaltung ist nicht nur für Fachfremde eine Bereicherung. Die Physiklehrerin Elisabeth Moormann, 29, habe alles verstanden und dennoch etwas dazugelernt, sagt sie lächelnd.

Der unbedarfte Otto-Normal-Verbraucher erhielt sein Physikwissen bisher durch TV-Serien wie „The Big Bang Theory“. Ein Fauxpas? „Nein“, sagt Büker. „Diese Serie hat erstaunlich viel mit der Realität zu tun. Wer einmal in einer Physik-Forschungsgruppe war, erkennt mindestens zwei Charaktere aus dem Plot wieder.“ Und bei so hohen Einschaltquoten könnte man fast sagen, dass Physik einen großen Trend erlebt. Als gebe es eine neue Liebe zur Naturwissenschaft — zumindest weiß man jetzt, dass das eine wie das andere durch den Magen geht.

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