Hamburg. Wie groß das Gesundheitsrisiko durch den Wirkstoff Glyphosat ist, bleibt umstritten. Auch Hobbygärtner setzen das Gift ein.

In der Gartenabteilung eines Hamburger Baumarktes fragt eine Kundin nach einem Mittel, um Giersch zu bekämpfen. Das geht am ehesten mit einem sogenannten Totalherbizid, einem Unkrautgift, das sämtlichen Pflanzen den Garaus macht. Die Fachverkäuferin schlägt zwei Produkte vor. Beide enthalten den Wirkstoff Glyphosat, über dessen Risiken für Mensch und Umwelt seit Jahren gestritten wird. Ende März veröffentlichte die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Stellung-nahme, die Glyphosat als „wahrschein-lich krebserregend“ einstuft. Glyphosat ist weltweit und auch in Deutschland der meistverwendete Unkrautvertilger. Er wird in der Landwirtschaft großflächig versprüht, aber auch von Hobbygärtnern eingesetzt.

17 Experten aus elf Ländern trafen sich im März bei der IARC in Lyon, um fünf Pestizide, darunter Glyphosat, hinsichtlich eines von ihnen ausgehenden Krebsrisikos erneut zu bewerten. Die Experten haben Glyphosat in die Kategorie 2A eingeordnet. Sie besagt, dass es zwar nur begrenzte Erkenntnisse für eine krebserregende Wirkung beim Menschen gibt, eine solche Wirkung bei Tierversuchen aber ausreichend belegt ist. Die Konferenzrunde in Frankreich widerspricht damit der Einschätzung der EU-Behörden. So schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR): „Glyphosat zeigte in zahlreichen standardisierten Tests keine erbgutverändernden Eigenschaften. Langzeitstudien an Ratten und Mäusen ergaben keine Anhaltspunkte für eine krebserzeugende Wirkung.“

Derzeit wird die EU-Zulassung von Glyphosat, das unter anderem unter dem Namen Roundup gehandelt wird, überprüft. Dazu hat das federführende BfR am 1. April seine Stellungnahme bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eingereicht. Zum WHO-Papier will es sich nicht äußern, empfiehlt aber „dass die EFSA bzw. die Europäische Kommission eine ausführliche Bewertung (...) zeitnah veranlassen“. Der wissenschaftliche Dissens sollte unbedingt ausgeräumt sein, bevor die EU-Kommission über die verlängerte Zulassung von Glyphosat entscheidet, so das BfR.

Selbst wenn die potenziell krebserregende Wirkung wieder revidiert werden würde, bleibt die Gefährdung der Umwelt. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) untersuchte im Jahr 2013 Brandenburger Gewässer auf Glyphosat und dessen Abbauprodukte. Er wurde fündig und entdeckte zudem „weitere bedenkliche Pestizide, die Amphibien und die Ökosysteme von Gewässern schädigen“, sowie Missbildungen bei Kaulquappen, die er mit den Herbiziden in Verbindung bringt.

Mit dem vorrückenden Maisanbau für Biogasanlagen sei der Pestizideinsatz deutlich gestiegen, kritisiert der Nabu. Das Umweltbundesamt nennt einen weiteren Grund, warum die Glyphosat-Anwendung in den vergangenen 15 Jahren um das Dreifache zugenommen habe: „Unter anderem, weil Landwirte ihre Böden nicht mehr pflügen, verwenden sie mehr Herbizide gegen Unkraut.“ Das Amt fordert, den „übermäßigen Einsatz von Glyphosat“ deutlich zu reduzieren.

Eine besondere landwirtschaftliche Anwendung ist die Sikkation: Vornehmlich Getreide darf kurz vor der Ernte behandelt werden, wenn, etwa nach Wetterschäden, die Ähren so unterschiedlich herangereift sind, dass sie kaum zu ernten sind. Glyphosat fördert das Ausreifen der Getreidekörner.

Die späte Anwendung bleibt nicht folgenlos. „Gift im Korn“ titelte im September 2012 die Zeitschrift „Öko-Test“, die in Mehlen und Getreideprodukten nach Spuren des Wirkstoffs fahndete. Ergebnis: „Glyphosat war in fast drei Viertel der Produkte nachweisbar. Dabei sind vier von fünf Weizenmehlen, acht von zehn Körnerbrötchen und zwei von fünf Getreideflockenprodukten betroffen“, schrieben die Ökotester.

Inzwischen ist die Sikkation im Vergleich zu 2012 zwar eingeschränkt worden, dennoch zeigen die Grenzwerte für Rückstände in Lebensmitteln, dass weiter mit Verunreinigungen zu rechnen ist: Beim Einsatz zur Wildkrautbekämpfung etwa für Buchweizen oder Reis beträgt der Höchstgehalt 0,1 Milligramm je Kilogramm Erntegut. Bei der Anwendung direkt vor der Ernte liegt das Limit, etwa für Weizen und Roggen, hundertfach höher: bei zehn Milligramm. Das sei gesundheitlich völlig unbedenklich, so das BfR, bei Bedarf könnten sogar „einzelne Höchstwerte ohne Gefahr für die Verbraucher angehoben werden“. Die in Studien gefundenen Spuren von Glyphosat in menschlichem Urin halten die staatlichen Risikoforscher ebenfalls für unbedenklich; sie seien ein Zeichen, dass das Pflanzenschutzmittel schnell wieder aus dem Körper ausgeschieden werde.

Am umweltfreundlichsten sei es, das Unkraut mechanisch zu beseitigen

Die Stellungnahme der WHO-Krebsforschungsagentur nennt drei Wege, über die Menschen üblicherweise Glyphosat aufnehmen: als Anwohner von Äckern, die mit dem Unkrautgift behandelt werden, über die Ernährung – und bei der Anwendung von Spritzmitteln in privaten Gärten. „Die Wirkstoffe sind auf der Packungsbeilage der Herbizide angegeben. Verkauft werden dürfen sie nur von sachkundigem Personal. Dieses muss auf die Indikation, in der das Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden darf – niemals auf Wegen, Garageneinfahrten oder an Gräben –, hinweisen, ebenso auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften, die in der Packungsbeilage angegeben werden“, sagt Dr. Malgorzata Rybak, Leiterin des Pflanzenschutzamts Hamburg.

Am umweltfreundlichsten sei es, das Unkraut mechanisch zu beseitigen, also zu jäten, hacken oder die Pflanzen herauszuziehen, empfiehlt Rybak – „diese körperliche Arbeit ist auch gut für Fitness und Geist“. Auf Wegen und Garageneinfahrten könne Wildwuchs auch abgebrannt werden, dafür gebe es spezielle Abflammgeräte. Mit Jäten ist aber der Giersch kaum kleinzukriegen, selbst aus kleinsten, im Boden verbleibenden Wurzelteilchen sprießen neue Pflänzchen. Erfolgsversprechender ist die friedliche Koexistenz: Wer die vitaminreichen Blätter regelmäßig abzupft und isst, schwächt den Giersch und stärkt die eigene Gesundheit.

Für Hobbygärtner, die das Dreiblatt nicht mehr sehen mögen, gibt es glyphosatfreie Produkte, etwa von der Firma Neudorff, die sich dem natürlichen Gärtnern verschrieben hat. Alternativprodukte waren auch in der Gartenabteilung des Baumarkts erhältlich. Die freundliche Fachverkäuferin präsentierte sie, als sie von der Kundin auf das umstrittene Glyphosat angesprochen wurde. Vorher jedoch nicht.